© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 53/20 / 01/21 25. Dezember 2020

Transhumanisten basteln an Brücken zum Übermenschen
Weiterleben auf der Festplatte
(wm)

Ray Kurzweil, Jahrgang 1948, Director of Engineering bei Google und führender US-Futurologe, nimmt 150 Pillen und Aufbaupräparate täglich ein, läßt sich jährlich intravenös auffrischen und stählt seinen Körper als Dauergast im Fitneßstudio. Kurzweil will damit sicherstellen, daß er auf jeden Fall das Jahr 2029 erreicht. Dann soll möglich werden, woran er als Erfinder bei Google arbeitet, die Verschmelzung von menschlichem Gehirn und Computer, von der er sich ewiges Leben verspricht. Das ist keine technologische Daniel-Düsentrieb-Phantasterei, sondern der Vorschein der Negation jeder menschlichen Kultur. „Vom heutigen Menschen wesensverschiedene Subjekte“ plane dieser „Transhumanismus“, für den Ingenieure wie Kurzweil an „Brücken zum Übermenschen“ basteln. Für die Publizisten Arne Kolb und Baal Müller, die Einblicke in Theorie und Praxis transhumanistischer Denker und Tüftler vermitteln (Tumult, 4/2020), ist diese Weigerung, den Tod als untrennbaren Bestandteil des Lebens anzuerkennen, zwar eine Konstante der menschlichen Kulturgeschichte. Kurzweils Wunsch, das Gehirn auf eine Festplatte zu transferieren, um sich Unsterblichkeit zu sichern, sei aber nur im Prinzip derselben Todesfurcht entsprungen, von der etwa der bizarre Bestattungsbrauch ägyptischer Pharaonen künde. Der entscheidende Unterschied sei, daß sich in den Unsterblichkeitsprogrammen der Transhumanisten ein „primitiver Materialismus“ realisieren will, der erstmals in der Geschichte der Menschheit glaubt, bei der „Sinnstiftung durch Überwindung des Todes“ (Ernest Becker) auf die kulturellen Symbolsysteme Kunst, Metaphysik, Religion verzichten zu können. 


 www.tumult-magazine.net