© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Geschichtspolitik
50 Jahre Sendung mit der Maus
Dieter Stein

Es gehört offenbar zum typisch Deutschen, einerseits einen der nach wie vor wohlorganisiertesten Staaten der Welt hervorgebracht zu haben, der ein Gemeinwesen hegt, das ebenfalls, wenn auch zunehmend mit Abstrichen, zu den prosperierendsten dieses Planeten gehört und andererseits sich am liebsten in Selbstzweifeln und Zerknirschung zu ergehen, warum man überhaupt auf der Welt sei und das alles hervorgebracht habe.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble widmet sich in einem aktuellen Interview der heiklen Frage, wie mit der Nation umzugehen sei, also just besagtem Komplex, warum wir mit unseren 83 Millionen Einwohnern in Mitteleuropa zwischen Rhein und Oder, zwischen Flensburg und Berchtesgaden überhaupt noch da sind und eine mäßige historische Größe darstellen. Unbestritten haben die Schwierigkeiten der Deutschen mit dem Mißbrauch des Nationalen im Dritten Reich und der Tatsache zu tun, „in welchen Abgrund Deutsche sich selbst und die Menschheit geführt haben“ (Schäuble).

Da nun aber Versuche fehlgeschlagen sind, den 8. Mai 1945 als Schlußstrich unter die Nationalgeschichte zu ziehen und Trümmer des Reiches in post- oder supranationale Konstruktionen zu transzendieren, vielmehr der geeinte Nationalstaat sich mit dem 9. November 1989 putzmunter zurückmeldete, bleiben wir trotz Ende der D-Mark und Brüsseler EU-Bürokratie weiter zurückgeworfen auf eine „Schicksalsgemeinschaft“, so Schäuble, die Europa noch nicht sei.

Nicht zuletzt Transferzahlungen akzeptieren wir nur, das weiß der ehemalige Bundesfinanzminister Schäuble nur zu gut, weil man uns „eben nicht allein mit der Ratio“ erreiche: „Emotionen gehören dazu.“ Und die Nation sei in der Lage, die Gefühle, das Herz der Menschen zu erreichen, sie könne „die stärksten Kräfte im Menschen ansprechen, zum Beispiel Solidarität“, so Schäuble.

So ist es. Und insofern ist es schon sehr peinlich und wohl wieder typisch deutsch, um zum Eingang zurückzukommen, daß unsere Repräsentanten sich weigern, angemessen und vielleicht mit einer kleinen Prise Pathos daran zu erinnern, auf welchen Fundamenten die Bundesrepublik Deutschland steht. Unser Staat ist nicht nur juristisch Rechtsnachfolger des vor 150 Jahren, am 18. Januar 1871 mit der Proklamation des deutschen Kaisers offiziell ans Licht getretenen Deutschen Reiches. Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung, Bildungswesen und Föderalismus gründen hier.

Unter dem sozialdemokratischen Postminister Georg Leber  und Kanzler Willy Brandt brachte die Bundespost 1971 immerhin noch eine Briefmarke zum 100jährigen Jubiläum der Reichsgründung heraus. Unter Angela Merkel müssen wir uns 2021 mit Marken zu 50 Jahren „Sendung mit der Maus“ und „Polizeiruf 110“ bescheiden.