© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Die Gesinnung ist frei
Urteil: Das Verwaltungsgericht München setzt Bayerns Verfassungsschutz Grenzen / Dessen Bericht sei „kein beliebiges Zeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit“
Christian Vollradt

Der juristische Erfolg gegen den Freistaat Bayern liegt schon ein Weilchen zurück: Bereits im Juli vergangenen Jahres hatte das Verwaltungsgericht München einer Klage der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI) stattgegeben und dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz untersagt, die ZFI als „rechtsextremistische Organisation“ in seinen Verfassungsschutzberichten aufzuführen. Kurz vor dem Jahreswechsel veröffentlichte die Kammer nun ihr schriftliches Urteil. Die Nennung im Verfassungsschutzbericht sei ein Eingriff in die Wissenschafts- und die Vereinigungsfreiheit.  Doch bei allem, was die Behörde an personellen Zusammenhängen, Referaten oder Texten als Rechtfertigung anführte, entgegneten die Richter mit einem klaren Nein: „Verfassungsfeindlich bedenkliche Inhalte sind nicht bekannt geworden ... verfassungsfeindliche Inhalte lassen sich dem nicht entnehmen ... sind verfassungswidrige Inhalte aber nicht vorgetragen worden.“

Zwar sei dem Staat „grundsätzlich nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen“, doch sei die bloße „Kritik an einem Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ dafür nicht hinreichend. Hinzukommen müßte die „Ankündigung konkreter Aktivitäten zur Beseitigung dieses Verfassungsgrundsatzes“. Die Richter betonten, daß die „Gesinnung des politisch Andersdenken den Verfassungsschutz nicht zu interessieren“ habe, sogar eine Sympathie „mit Zielen und Maßnahmen einer verfassungsfeindlichen Organisation“ reiche für einen entsprechenden Eingriff durch den Nachrichtendienst nicht aus. Daß solch einer gravierende Folgen haben kann, verschweigen die Verwaltungsrichter nicht. Schließlich wurden der ZFI Räumlichkeiten und Konten gekündigt sowie die Gemeinnützigkeit aberkannt. Allerdings klammern die Juristen auch Kritik an der ZFI nicht aus. Sie sei durchaus „im verfassungsschutzrelevanten Bereich des Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus undifferenziert ... und vielmehr bewußt in Erscheinung getreten“. In einem Fall bleibe „unverständlich“, weshalb der Verein einen Redebeitrag mit antisemitscher Tendenz „nicht von seiner Homepage genommen“ habe. 

„Juristischer Dämpfer für Verleumdungsversuche“

Das Fazit der Kammer ist indes klar: Es liegen „keine hinreichenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vor“, weil nicht festgestellt werden konnte, daß es der ZFI „um die Beseitigung oder auch nur Beeinträchtigung eines der Bestandteile der freiheitlich demokratischen Grundordnung gelegen ist“. Das Bundesverfassungsgericht habe, betonen die Verwaltungsjuristen unter Bezugnahme auf das Karlsruher Urteil zugunsten der JUNGEN FREIHEIT von 2005, „zum Ausdruck gebracht, daß die ideellen Grundlagen der Verfassung als solche nicht dem verfassungsschutzbehördlichen Verfassungsschutz unterliegen“. Und sie zitieren den Staatsrechtler Dietrich Murswiek, wonach der freiheitliche Staat „seine ideellen Grundlagen mit geistigen Mitteln – durch Argumente und positive Selbstdarstellung“ – verteidige. Und deutlich schreiben die Richter allen innenpolitischen Hardlinern ins Stammbuch: „Der Verfassungsschutzbericht ist kein beliebiges Zeugnis staatlicher Öffentlichkeitsarbeit.“

Für den Vorsitzenden der ZFI, Gernot Facius, wurde mit dem Münchner Urteil „den von Linken und Grünen forcierten Verleumdungsversuchen ein juristischer Dämpfer verpaßt“, sagte der ehemalige stellvertretende Welt-Chefredakteur der jungen freiheit – für die er als freier Autor regelmäßig schreibt. Das Institut werde sich gestützt auf das Urteil nun darum bemühen, seine Vortrags- und publizistische Arbeit konsequent fortzusetzen. Dazu gehöre, auch weiterhin von der Geschichtswissenschaft vernachlässigte Fragen aufzugreifen. „Dem Druck auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit muß standgehalten werden“, betonte Facius. Selbstverständlich werde die ZFI in dem Zusammenhang auch „auf der Beibehaltung des Gemeinnützigkeitsstatus bestehen“. 

Angesprochen darauf, daß die Richter im schriftlichen Urteil ihr Unverständnis hinsichtlich der Veröffentlichung einzelner Redebeiträge äußerten („bewußte gezielte Provokation“), entgegnete Facius, es gehöre „zu einer ehrlichen Dokumentationsarbeit, auch kontrovers aufgenommene Beiträge nicht zu verschweigen“. Eine Veröffentlichung bedeute „nicht in jedem Fall, daß sich die ZFI mit solchen Meinungen identifiziert.“