© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Der unterschätzte Inflationsdruck der Modernen Geldtheorie
Fiskalische Expansion
Thomas Kirchner

Am 4. Januar jährte sich zum zehntenmal der Todestag von Mohamed Bouazizi, jenem tunesischen Straßenhändler, dessen Selbstverbrennung den „Arabischen Frühling“ auslöste. Hintergrund war die Wut weiter Teile der Bevölkerung über steigende Lebensmittelpreise. Auch in diesem Jahr steigen Rohstoff- und Lebensmittelpreise, insbesondere aufgrund der Dollar-Schwäche. Doch Anhänger der „Modern Monetary Theory“ (MMT, JF 49/19) wollen weiterhin keine Gefahr erkennen.

Die Moderne Geldtheorie ist ein Beispiel des Rezenzeffekts, einer psychologischen Verzerrung, wie sie im Finanzbereich oft anzutreffen ist. Beobachter neigen dazu, neuere Informationen höher zu gewichten als ältere. Die Ausweitung der Staatsverschuldung in Industrienationen bei gleichzeitig sinkenden Zinsen und niedriger Inflation dient der MMT als Grundlage, Prinzipien von solider Haushaltsführung und Geldwertstabilität über Bord zu werfen. Fast unbegrenzt soll die Staatsverschuldung wachsen können, ohne daß Zinsen oder Inflation steigen. Die Aufgabe des Goldstandards habe dies in den letzten fünf Jahrzehnten ermöglicht. Wohltaten wie einem universellem Grundeinkommen stehe damit nichts mehr im Weg.

Übersehen wird dabei nicht nur die Stagflation der 1970er Jahre, sondern auch der deflationäre Effekt durch die Produktionsverlagerung in die asiatischen Tigerstaaten, die Öffnung des Ostblocks ab 1990 und den Eintritt Chinas in die Welthandelsorganisation WTO ab 2000. Eine vergleichbare Deckelung von Inflationsdruck ist für die Zukunft eher unwahrscheinlich. Richtig ist, daß eine expansive Geldpolitik in einem solchen Umfeld ohne inflationäre Konsequenzen möglich ist. Doch die Folgerung, daß gesetzliches „Fiatgeld“ eine solche Politik immer ermöglicht, ist voreilig.

Mit Janet Yellen als US-Finanzministerin dürfte eine fiskalische Expansion bevorstehen, die ganz im Sinne der MMT-Vertreter liegt. Allerdings dürfte der Schwerpunkt eher auf Infrastruktur- statt Sozialprogrammen liegen. In der EU war bisher die Währungsunion ein Stolperstein zur Umsetzung der MMT, denn ihre Vertreter räumen ein, daß sie nur so lange funktionieren kann, wie Staaten sich in ihrer eigenen Währung verschulden. Doch mit Einführung der gemeinsamen Euro-Anleihen ist auch das letzte Hindernis verschwunden. Im Geiste sind viele schon auf MMT aufgesprungen – sogar das Düsseldorfer Handelsblatt feierte kürzlich diese Theorie ab.

Letztlich handelt es sich bei MMT aber um einen neuen Keynesianismus, in dem Inflationsrisiken verharmlost werden, weil Inflation in der Erfahrung der letzten Jahre kaum vorkam. Doch angesichts der bevorstehenden Flut von Staatsausgaben in Europa, den USA und Japan und bereits jetzt steigender Rohstoffpreise könnte die Ära niedriger Inflation schon bald vorüber sein.