© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Das Lachen des Jokers
Antiordnung: Ein Essay über postmoderne Ironie und unernsten Zwang
Konstantin Fechter

Warum denn so ernst?“ Diese letzte Frage stellt der Joker, ein verstörender Psychopath im Clownskostüm und Gegenspieler des Comic-Helden Batman, gerne seinen verängstigten Opfern. Er tut dies, während er ihnen ein Messer in den Mund steckt, und antwortet selbst, indem er ihre Backenmuskeln durchtrennt und somit für immer ein monströses Lächeln in die Gesichter graviert.

Außer den Joker, der zu seinem maliziösen Humor steht und daher dieselben Narben trägt, erheitert dieses verstörende Schauspiel jedoch niemanden. Aber nicht das Böse per se reizt ihn, sondern das uneindeutige Grau, wenn Hell und Dunkel miteinander verschmelzen. Auf dieser Suche nach Mehrdeutigkeit liebt es der Joker, Menschen aus ihrem gültigen Normengefüge zu reißen und in moralische Zwangslagen zu stoßen. Beispielsweise, indem er eine Gruppe aufrechter Bürger und eine Bande Schwerkrimineller auf Sprengstoff setzt und der jeweils anderen Gruppierung den Zünder für diesen übergibt. Wer sich zuerst für die Sprengung der anderen entscheidet, überlebt.

Für die Gestalt des Jokers existiert ein mythologisches Vorbild, das in zahlreichen Kulturen vorhanden ist. Es handelt sich dabei um den Trickster, eine Art kosmischen Schelm, der die Ordnung stört und in einigen Mythologien von zentraler Bedeutung ist. Im nordischen Glauben war dies Loki, in der klassischen Antike Hermes der Götterbote, und im Shintoismus nimmt der Sturmgott Susanoo diese Rolle ein.

Der Trickster ist keine Erscheinung der reinen Finsternis wie der Antichrist, zeichnet sich aber durch eine kaltschnäuzige Gefühllosigkeit aus. Zeigt er Empathie, ist diese von einer antisozialen Natur wie Schadenfreude oder Sadismus. Er spürt keine Angst, ist offen für Neues, ja begierig auf Veränderung. Im alten Ordnungsgefüge findet er keinen angemessenen Platz, also genießt er es, dieses zu provozieren und zu entlarven, wo immer möglich. Sein angeberisches Wesen verlangt nach Würdigung und versucht diese durch Ränkespiele unter Zugriff auf seine – durchaus vorhandene – soziale Kompetenz zu erlangen. 

In der Gestalt des Tricksters kumuliert das Humorempfinden der Postmoderne auf mehrfache Weise. Einerseits zwingt er sein Gegenüber in den Unernst, da ihm eine stoische Haltung unerträglich scheint. Auch in den bittersten Momenten will seine sardonische Natur zur Selbstironie anregen, notfalls mit Gewalt.

Die Postmoderne hat daher an Gestalten wie dem Joker einen Narren gefressen. Da sie auch zugleich postheroisch ist, kann es in ihr keinen Platz mehr für klassische Heldenerzählungen geben. Insofern sind ihre Protagonisten auch immer zugleich Antagonisten, was die schizophrene Persönlichkeitsstruktur zahlreicher fiktiver Charaktere wie beispielsweise des Piraten Jack Sparrow erklärt, der durch die mehrteilige Filmreihe „Fluch der Karibik“ zu einer Stilikone avancierte. Bedenkt man das exzessive Leben des diesen Freibeuter verkörpernden Schauspielers Johnny Depp, ist hier die fiktionale von der realen Ebene kaum noch zu unterscheiden. 

Da der postmoderne Zeitgeist in seinem Streben nach Antiordnung die Verbindlichkeit in jeder Form ablehnt, erscheint ihm auch der Ernst suspekt. Er verwechselt ihn gern mit Humorlosigkeit. Seriosität ist jedoch nicht der Mangel von Witz, sondern der Gegensatz zu Leichtsinn. Eine ernste Haltung entspringt zielgerichtetem und gefahrenbewußtem Denken, das Ereignisse auf deren inhärentes Gefährdungspotential hin überprüft. Mäßigung und Skeptizismus prägen es ebenso wie die Konzentration auf das Wesentliche. Es handelt sich um jene Eigenschaften, die dem vielleicht größten Kulturprojekt der Menschheit, der Transformation des Abendlandes hin zu einem posthistorischen Wolkenschloß, am schärfsten entgegenstehen. 

Seriös handelt ein Laokoon, der vor den Toren Trojas das von den Griechen hinterlassene Holzpferd erst auf eine mögliche Täuschung untersucht. Als die Göttin Athene daraufhin zwei Schlangen schickt, die ihn und seine beiden Söhne verschlingen, um somit seine Warnung zu unterbinden, lacht der trojanische Pöbel über das Schicksal des vermeintlichen Miesmachers. Der Rest ist bekannt.

Der postmoderne Laokoon ist ebenso gelitten. Seine abwägende Betrachtungsweise steht in Konkurrenz zu der des Jokers, der Troja am liebsten selbst anzünden würde. Auf die Frage wieso, würde er nur antworten: Warum denn nicht? Das johlende Publikum der sozialen Medien favorisiert das Draufgängertum des Jokers und weigert sich ebenso wie dieser, über die Konsequenzen von Entscheidungen nachzudenken

Die öffentliche Meinung dieser Tage will sehr viel hören über Möglichkeiten, Visionen und utopische Träume, von Risiko und Scheitern jedoch nichts wissen. Ihr radikaler Fortschrittsimpetus erinnert an das Verhalten von Phileas Fogg, der in Jules Vernes Roman „In 80 Tagen um die Welt“ beginnt sein eigenes Schiff zu verfeuern, um so schneller ans Ziel zu gelangen. 

Der Kritiker dieser Hyperbeschleunigung wird zur phantasielosen Spaßbremse, was in einer Spaßgesellschaft gleichbedeutend mit dem eigentlichen Feind ist. Er nimmt die Dinge zu ernst, steht den Architekten der Gesellschaft von morgen im Weg. Seine Meinung gilt nicht nur als unerwünscht, sondern zunehmend als gefährlich. Denn politische Analyse, eine rationale Abwägung von Handlungsoptionen unter dem Aspekt der Risikominimierung, wurde ersetzt durch den Wunschbrunnen, in den jeder seine Hoffnung werfen darf. Er soll nur fest daran glauben.

Diese guten Absichten, Beschwörungen und Segenswünsche verschwimmen zu einer unübersichtlichen Gemengelage, die sich in einem diffusen Polit-Kitsch ausdrückt. Eine falsifizierbare und daher diskutierbare Zielsetzung enthält dieser nicht. Für jede phantastische Prognose, die an der Wirklichkeit scheitert, wird daher dasselbe Mantra zur Rechtfertigung herangezogen: Der aufrichtige Wille war vorhanden, nur eine widerspenstige Realität und der Defätismus der Mahner verhinderte die Umsetzung der überladenen Ziele. 

Denn das Paradoxon der Postmoderne resultiert aus der ihr innewohnenden Ironie. Nichts ist, wie es eigentlich versprochen wurde. Die Zeichen stehen nicht auf Emanzipation, sondern auf häuslicher Gewalt, nicht auf buntem Straßenfest, sondern auf Clankriminalität und Drogenhandel. Die Idee der toleranten Kieznachbarschaft weicht in der Realität einem rücksichtslosen Verdrängungskampf aller gegen aller. Je stärker von Inklusion gepredigt wird, desto deutlicher tritt auf der Straße das Faustrecht zutage. Es ist die Welt des Jokers, in der nur der herzhaft lachen kann, der dazu bereit ist, anderen eine Klinge in den Mund zu rammen.

Kritik an den wirklichen Mißständen dieses Traums von grenzenloser Offenheit darf daher nur in spielerisch humoristischer Form praktiziert werden, selbst wenn sich die wahren Zustände immer schwerer verbergen lassen. Die quasioffiziellen Denkverbote und Sprachzwänge, welche die tatsächliche Sprachkultur der westlichen Hemisphäre zunehmend wie eine Karikatur von Sprache erscheinen lassen, finden nur noch in bestimmten ironischen Sonderformaten eine Aufhebung. Üblicherweise handelt es sich hierbei um Zeichentrickserien, also Verfahren, die schon in ihrer Darstellungsweise auf Verfremdung setzen.

Sendungen wie „South Park“, „American Dad“ oder „Family Guy“ erfüllen jedoch keinen anderen Zweck, als den Unmut über ein semitotalitäres Sprachregime mit einem kurzfristigen Lacher über Dicke, Homosexuelle, Juden oder andere Minderheiten zu überspielen. Die Produzenten dieser Fernsehserien übernehmen dabei die Rolle des Hofnarren, dem einzigen, der wahre Redefreiheit besitzt, da ihn sowieso keiner für voll nimmt. Sie haben allerhöchstens Ventilfunktion für den Protest gegen Diskurseinschränkungen und wiegen in falsche Zufriedenheit, indem eine permanente Sprachkontrolle temporär aufgehoben und durch feinportionierte Boshaftigkeit aller Art ersetzt wird.

Zwar halten sie durchaus dem selbstgerechten Progressiven einen Spiegel vor und zeigen die Irrwege, welche eine hochideologisierte Gesellschaft einschlagen kann, doch diese lacht lieber über die ulkigen Kapriolen des Hofnarren, reflektiert aber keineswegs die tiefergehende Wahrheit, die er verkündet. Das gönnerhafte Gewährenlassen dieses Spotts simuliert eine Gegenöffentlichkeit und impliziert, daß es bei der Nörgelei über immer enger werdende Meinungskorridore eigentlich nur um das Ausleben von Gehässigkeit gehen würde. 

Die Postmoderne kennt jedoch eine eigene Form von Ernst, der schnell in heiligen Zorn umschlagen kann. Dieser trifft all diejenigen, die sich weigern, ihr Verhalten auch außerhalb dieser anerkannten Narrenräume anzupassen. Auf unbedachte Äußerungen oder gar offene Kritik an bestehender Gleichheitsideologie und Sprachregime wird umgehend reagiert.

Dabei werden abweichende Äußerungen als Moralverbrechen behandelt, was schnell die Diskussion von deren Inhalt auf das angebliche Fehlverhalten des Kritikers lenkt. Entscheidend ist nicht mehr, was jemand äußert, sondern wo und wie dies geschehen ist. Im harmlosesten Fall enden diese von einer selbsternannten Zivilgesellschaft vertretenen Anklagen mit der rituellen Selbsterniedrigung des Beschuldigten und dem Geloben von Besserung.

Besteht aber weiterhin Uneinsichtigkeit beim Delinquenten, erfolgt eine Verschärfung der Repression, die bis zum sozialen Spießrutenlauf und Arbeitsplatzverlust führen kann. Die spielerische Beliebigkeit weicht dort einem aggressiven Durchgreifen, das selbst vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt. Die offiziösen Demonstrationszüge zur Verhinderung einer organisierten Gegenstimme stehen meist unter einem vulgärhumoristischen Motto, zumindest so lange, bis die ersten Steine fliegen. Diejenigen, über die dieser Sturm der Empörung hereingebrochen ist, bleiben entkräftet und isoliert zurück. Wenige haben danach noch die Energie, weiterhin eine unbequeme Meinung zu vertreten. In ihr Gesicht ist ein sie verhöhnendes Grinsen geschlitzt: Warum denn so ernst?