© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

Unabhängiger Journalismus als unbezahltes Hobby
Pressearbeit im Putin-Reich
(wm)

Der Begriff „russischer Journalist“ sei heute für viele Bürger im Reich Wladimir Putins „zum Sinnbild eines Propagandisten und Lügners geworden“, faßt Liza Alexandrova-Zorina ihre eigenen Erfahrungen in der schreibenden Zunft zusammen (Lettre International, 131/2020). Die „offizielle Journalistik“ verschmelze immer mehr mit der „Kreml-Propaganda und dem Polizeistaat“. Dagegen habe ihre Kollegin Irina Slawina am 2. Oktober 2020 ein Zeichen setzen wollen, als sie sich in Moskau vor dem Gebäude des Innenministeriums selbst anzündete. Die journalistische Einzelkämpferin Slawina war vor ihrem Freitod mehrfach wegen „Mißachtung der Staatsmacht und der Gesellschaft“ mit „abweichenden Meinungen“ aufgefallen und gerichtlich verfolgt worden. Ihr tragisches Schicksal beweist für Alexandrova-Zorina, daß „in Rußland kaum noch unabhängige Medien übriggeblieben“ seien. Selbst das Erscheinen von Reportern bei Protestaktionen oder in Wahllokalen könne ihnen als Straftat ausgelegt werden und ziehe oft ein Verhör im „Zentrum zur Bekämpfung des Extremismus“ und Schlimmeres nach sich. Journalismus außerhalb der etablierten, regierungskonformen Medien falle daher allmählich in die Rubrik „unbezahltes Hobby“. Doch obwohl es jeden Tag „neue Drohungen, Überfälle, Verhaftungen, Prozesse“ gebe, melden sich mit vergleichbarer Hartnäckigkeit täglich neue Journalisten und Blogger zu Wort, die „keine Angst haben zu schreiben oder Angst haben und trotzdem schreiben“. Ihnen sei es zu danken, wenn der Begriff „Journalist“ nicht nur ein Synonym für „Propagandist und Lügner“ sei – zumindest nicht mehr in Rußland. 


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