© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 02/21 / 08. Januar 2021

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

In der neuen Debatte über die Reichsgründung geht es regelmäßig auch um den Kontrast zur Märzrevolution. Diese Gegenüberstellung ist nicht neu. Neu ist allerdings die Entschlossenheit, mit der „1848“ positiv und „1871“ negativ beurteilt wird. In der Zeit des Kaiserreichs sah die Linke voller Spott auf das ewig debattierende „Professorenparlament“, und die Liberalen betrachteten selbstkritisch die eigene „Idealpolitik“, da die Einheit – und mithin die Voraussetzung der Freiheit – nur mit Hilfe konservativer „Realpolitik“ zu gewinnen gewesen war. Die Gewichte verschoben sich naturgemäß in der Weimarer Republik. Aber wegen der Gesamtlage blieb das Triumphgefühl der „Reichsfeinde“ von gestern verhalten, die nun das Geschehen bestimmten. Bezeichnend war schon das Gequälte ihres Bemühens, die Farben Schwarz-Rot-Gold an Inhalte zu knüpfen, die die Deutschen längst vergessen hatten. Vielleicht abgesehen von der großdeutschen Sehnsucht, die allerdings nur sehr vorsichtig genährt wurde. Darin lag ein wesentlicher Unterschied zur Geschichtspolitik des NS-Regimes. Der galt „1848“ wie „1871“ als ein Zuwenig, bestenfalls Vorstufe dessen, was man selbst zustande bringen wollte. Als daraus nichts wurde und die Deutschen vor den Trümmern der Schöpfung Bismarcks standen, wuchs die Versuchung, vom „Sonderweg“ herunterzukommen, indem man „1871“ zum Unglück erklärte, „1848“ zum Glück. Deshalb feierten alle Besatzungszonen mit großem Aufwand das hundertjährige Revolutionsjubiläum. In der sowjetischen betonten die neuen Machthaber nachdrücklich das Fortschrittliche, das als Muster für den „antifaschistisch-demokratischen“ Aufbau dienen konnte. Erfolgreich war das nicht, nur durchschaubar. Im Westen schien es dagegen für den Moment, als ob die „öffentliche ‘Umwertung aller Werte’“ (Gerhard Ritter) geschickter angelegt und wesentlich wirkungsvoller sein werde. Aber der Eindruck trog. Zu stark waren die Kräfte, die zwar eine historische Bestandsaufnahme wollten, aber keinen Revisionismus, der allen Figuren und Kräften der Nationalgeschichte ein Minus verpaßte, nur weil sie einst mit einem Plus versehen waren. Dieses Bemühen um Ausgleich hat die Generation, der der gegenwärtige Bundespräsident angehört, zerstört. Was das ahistorische Idealbild von „1848“ ebenso erklärt, wie den wegwerfenden Ton, in dem er von „1871“ spricht.

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Jedesmal, wenn mir jemand mitteilt, daß ich den Führer nicht verstanden habe, aus Dummheit leugnete, daß die Bundesrepublik nur eine GmbH und das Grundgesetz keine gültige Verfassung sei, daß ich wahrscheinlich von irgendeiner Loge gekauft sei oder von George Soros oder von Bill Gates oder daß es sich bei mir um einen Systembüttel und gelehrigen Schüler der Umerziehung handele oder um einen, der – beschränkt wie er sei – das „Querdenken“ unterlasse, meint, daß es sich bei Corona tatsächlich um eine Pandemie handele, zumal er danach giere, von Frau Merkel zum Abendessen eingeladen zu werden, jedesmal, wenn einer dieser Fälle eintritt, weiß ich, daß ich auf dem richtigen Weg bin.

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Die Tageszeitung Die Welt hat Petra Pau von der Linken, ihres Zeichens Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Gelegenheit gegeben, ihre ebenso platte wie antifaschistische Sicht der Dinge zu erläutern. In deren Kern steht selbstredend die Gefahr „von rechts“ und die Tatsache, daß die Biedermänner der AfD nichts anderes seien als Brandstifter, die das Parlament mißbrauchten, um Zündstoff zu sammeln, an den der Pöbel draußen das Streichholz halten soll. In derselben Ausgabe der Welt (Online am 1. Januar) steht der Bericht über den Brandanschlag auf ein Bundeswehrdepot in Leipzig während der Silvesternacht, einer über die zunehmende Bedrohung von Sicherheitskräften im Einsatz, einer darüber, wie man die sexuellen Übergriffe von Einwanderern statistisch reduziert, einer über den Zusammenhang zwischen Rap und Organisierter Kriminalität sowie einer über die Vorgänge, die dazu beitragen, daß alteingesessene kriminelle Clans mit Migrationserfahrung durch neuangekommene kriminelle Clans mit Migrationserfahrung abgelöst werden.

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Stella Kamnga ist eine Französin schwarzer Hautfarbe, geboren in Kamerun, 27 Jahre alt, Studentin und Interviewerin. Gelegentlich stellt sie anderen Bewohnern Frankreichs wichtige Fragen, vor allem denen, die wie sie unter „Farbige“ fallen. Zum Beispiel: „Warum versuchen so viele Afrikaner nach Frankreich zu kommen, ein Land mit rassistischem Ruf?“ Oder: „Warum kehren die Afrikaner, die sich als Opfer des hiesigen Rassismus bezeichnen, nicht nach Afrika zurück?“ Mademoiselle Kamnga ist im übrigen der Auffassung, daß die, die als Sprecher der Einwanderer auftreten, sich diese Funktion angemaßt haben, daß sie entweder eigennützige Ziele verfolgen oder aus einer persönlichen Frustration handeln, für die sie ein Ventil suchen. Zuletzt hat sie noch eine Botschaft für jene Weißen, die sich ihrer Hautfarbe schämen und überzeugt sind, daß ihre Kultur von Schuld belastet sei: Mit Freuden würde sie sie von ihrer Last befreien und das übernehmen, was an dieser Kultur so großartig sei.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 22. Januar in der JF-Ausgabe 4/21.