© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Kathrin Kunkel-Razum: Die Duden-Chefin marschiert an der Spitze des „Fortschritts“.
Die Totengräberin
Thomas Paulwitz

Gänsehautmoment“ sei ihr Lieblingswort unter den neuen Wörtern im Rechtschreibduden, bekannte Kathrin Kunkel-Razum. In der Tat sorgte die Neuauflage, die im August erschien, bei vielen Sprachfreunden für Gänsehaut: Angesichts der vielen zusätzlichen Anglizismen von „Darterin“ bis „nice“, der zahlreichen Modewörter und Eintagsfliegen wie „Dieselaffäre“ und „Katzenvideo“ und nicht zuletzt der unverhohlenen Genderempfehlungen über drei Seiten überkam viele Leser das Frösteln.

Diese Art von Gänsehaut dürfte die 1959 in Potsdam geborene Leiterin der Dudenredaktion freilich nicht gemeint haben. 1997, kurz nachdem der Rechtschreibduden 1996 im Zuge der Neuregelung sein Privileg verloren hatte, „maßgebend in allen Zweifelsfällen“ zu sein, wurde sie Mitglied der Redaktion, und seit 1999 gehört sie auch dem Wissenschaftlichen Rat an.

Doch viele Glücksmomente haben Kunkel-Razum in dieser Zeit wohl nicht erschauern lassen. Sie hat nämlich nicht nur den langjährigen Umbruch durch mehrere Rechtschreibreformen zwischen 1996 und 2006 hautnah miterlebt, sondern auch die tiefgreifenden Folgen für den Verlag, das Bibliographische Institut. Der Bedeutungsverlust brachte den Verlag 2013 wirtschaftlich an den Rand des Abgrunds. Das Institut zog von Mannheim nach Berlin um, kam 2016 unter das Dach des Cornelsen-Verlags. Von ursprünglich rund zweihundert Angestellten sind letztlich nur noch dreißig übriggeblieben.

Zu den wenigen „Überlebenden“ gehört Kunkel-Ra­zum. 2016 löste sie Urgestein Werner Scholze-Stubenrecht ab, der jahrzehntelang die Redaktion geleitet hatte und zum Gesicht des Dudens geworden war. Sie übernahm damit auch seine Mitgliedschaft im Rat für deutsche Rechtschreibung. Neben der Erfahrung mangelt es ihr auch nicht an fachlicher Qualifikation. Zu DDR-Zeiten war sie zwischen 1986 und 1990 Redakteurin der renommierten Zeitschrift für Germanistik, zuletzt als stellvertretende Chefredakteurin.

Wer allerdings glaubte, daß sie nach den tiefgreifenden Auswirkungen durch Rechtschreibreformen und Digitalisierung das abgetakelte Duden-Schiff in ruhigere Gewässer zu lenken versuchte, sah sich getäuscht. Die überzeugte Feministin setzte im Rechtschreibrat, in der Wörterbucharbeit und mit der Herausgabe von Ratgebern ein Thema auf die Tagesordnung, das die Gesellschaft mindestens genauso spaltet wie die Rechtschreibreform: die Gendersprache. Dabei ist ihr Ansatz zutiefst ideologisch, denn sie sieht Gendern als Machtfrage und fordert von Männern, „Macht abzugeben“. Indem sie den Duden an den Zeitgeist anpaßt, ihn gar zur sprachpolitischen Speerspitze der Genderideologie macht, könnte sie sich ein Denkmal setzen: als Totengräberin einer einstmals allgemein anerkannten Sprachinstitution – garantiert mit Gänsehautmoment.