© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Erstmals kürzertreten?
Paul Rosen

Die Geschichte der Abgeordnetenbezüge im Bundestag folgte bisher einem roten Faden: Egal, welches System beschlossen wurde, heraus kamen immer höhere Diäten für die Bundestagsabgeordneten. Ihr derzeitiges Salär von monatlich 10.083,47 Euro mag im Vergleich zu Wirtschaftsbossen nicht besonders hoch aussehen. Doch wenn die Kostenpauschale von 4.560,59 Euro und eine als sehr üppig zu bezeichnende Altersversorgung hinzugerechnet werden, dann sind die Damen und Herren MdB alles andere als unterbezahlt. Und während in der Wirtschaft selbst die Chefs jeden Cent berufsbedingter Ausgaben belegen müssen, wird den Abgeordneten die Pauschale ohne jeden Nachweis von tatsächlich entstandenen Kosten auch noch steuerfrei gezahlt. 

Der Haken: Um mindestens mit der Preissteigerung mitzuhalten, war stets ein neuer Beschluß des Bundestages erforderlich. Die Reaktionen auf solche Beschlüsse waren immer gleich: Das von Steuer- und Abgabenerhöhungen geplagte Wahlvolk protestierte heftig. 

Daher bestand schon immer ein Drang bei Fraktionsvorsitzenden und Parlamentarischen Geschäftsführern, über die Höhe der Diäten nicht mehr selbst befinden zu müssen. Nach einigem Hin und Her löste man das Problem, indem die Bezüge an den sogenannten Nominallohnindex gekoppelt werden. Der wird vom Statistischen Bundesamt stets bis Ende März für das jeweils zurückliegende Jahr anhand der durchschnittlichen Lohnsteigerungen ermittelt. Entsprechend werden dann die Diäten erhöht.

Bis 2019 ging das gut. Am 1. Juli 2019 wurden die Diäten von 9.780,28 Euro auf 10.083 Euro angehoben. Doch dann kam Corona, und die Spuren der Pandemiefolgen machten sich doch noch in den Geldbörsen der Abgeordneten bemerkbar. Nachdem Millionen Arbeitnehmer in Kurzarbeit geschickt oder sogar arbeitslos und für diverse Hilfs- und Rettungspakete Milliardenberge an Schulden aufgetürmt wurden, beschlich viele Abgeordnete eine Ahnung, daß sie sich vielleicht doch nicht rausreden und weiterkassieren könnten. 

Folglich ließen sie die eigentlich fest eingeplante Diätenerhöhung von rund zweieinhalb Prozent ausfallen. In diesem Jahr könnten Volksvertreter lernen, was Grundwissen eines jeden Börsianers ist: Ein Index kann auch in die andere Richtung gehen – nach unten nämlich. Der Nominallohnindex stieg im ersten Quartal des letzten Jahres, in dem die Pandemie begann, noch um 0,4 Prozent. Im zweiten Quartal brach der Index um 4,7 Prozent ein, und er blieb auch im dritten Quartal mit 1,3 Prozent im Minus. Der Wert für das vierte Quartal liegt noch nicht vor, doch dürfte das Ergebnis den negativen Trend nicht mehr umkehren. 

Etwas zerknirscht räumt der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, nun ein, der Mechanismus könne „infolge der allgemeinen Lohn- und Gehaltsentwicklung in der Krise auch zu Kürzungen bei den Diäten führen“. Aus der AfD-Fraktion hieß es, die Diätensenkung sei „längst überfällig und dringend erforderlich“.