© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Asien zeigt der Schweiz die Kante
Weltfinanzmarkt: Der Umzug des WEF von Davos nach Singapur ist nur die Spitze des Eisbergs
Liz Roth

Der deutsch-schweizerische PR-Berater, Publizist und Unternehmer Klaus J. Stöhlker kennt keine Gnade. Angesichts des Umzugs des Weltwirtschaftsforums (WEF) – im Jahr seines 50jährigen Bestehens – von Davos nach Singapur aufgrund der unterschiedlichen Covid-19-Fallzahlen kommt er zu dem Schluß: „Das Gewicht der Weltwirtschaft und der Weltpolitik verlagert sich mit größtem Tempo nach Asien. Europa kämpft um den Klassen­erhalt. Die Schweiz bleibt entweder noch einige Jahre ‘Hotspot’ der Reichen und der Konzernzentralen, oder sie wird zu einem Museum: Venedig am nördlichen Alpenrand.“

Enorme Kräfteverlagerung in Richtung Asien

Geht es nach dem Schweizer Nachrichtenportal für Investoren „Investrends“ wird China 2021 „globale Wachstumslokomotive“. Chinas erfolgreiche Eindämmung der Pandemie im Jahr 2020 sei der Schlüssel für die starke Wirtschaftsleistung des Landes. Im Jahr 2021 werde das Land aber beweisen müssen, daß es während des Neujahrsfestes im Februar in der Lage ist, das Ansteckungsrisiko im Zaum zu halten, so die Ökonomen von Swiss Life AM.

Eine ähnliche Rolle spielt Singapur. Der asiatische Stadtstaat ist für Schweizer Banken ein zunehmend wichtiger Konkurrent. Seit dem Ende des Bankgeheimnisses haben die Finanzströme drastisch zugenommen, nun kommt dank Corona eine neue Dynamik. „Asien zeigt Muskeln“, klärt swissinfo auf und verweist auf die Gründung der größten Freihandelszone der Geschichte im vergangenen Jahr. Der „Regional Comprehensive Economic Partnership“ gehören 15 Staaten an, darunter China, Japan, Singapur, Südkorea, Australien und Indonesien.

Diese Kräfteverlagerung zeigt auch der Weltstädte-Index (Global Cities Index) für das vergangene Jahr der Beratungsfirma Kearney. Daraus geht hervor, daß es weder Zürich noch Genf in die Top 30 der mächtigsten und einflußreichsten Städte der Welt mehr schaffen. Zürich, die Stadt mit den höchsten Lebenshaltungskosten weltweit, das traditionelle Kronjuwel der Finanzwelt, wird mittlerweile von München, Madrid oder auch Brüssel überholt.

Die Chinesen sind die eindeutigen Profiteure dieser Kräfteverlagerung. Laut Kearney machte Peking im Gesamtranking vier Plätze gut, liegt nun auf dem fünften Platz und hat Hongkong verdrängt. „Das politische Chaos in Hongkong dämpft das Abschneiden über alle Dimensionen hinweg mit signifikantem Rückgang der Geschäftstätigkeit, dem Informationsaustausch und der kulturellen Erfahrung“, so Martin Eisenhut, Managing Partner von Kearney Deutschland.

Für ausländische Banken, besonders die Schweizer wie Credit Suisse, UBS oder Julius Bär, wurde es in Hongkong sehr ungemütlich, als im Juli 2020 das neue Sicherheitsgesetz beschlossen wurde, das der Zentralregierung in Peking den absoluten Durchgriff auf der „Dracheninsel“ garantiert.

Nach dem neuen Gesetz mußten sie ihre Sorgfalt-Abklärung von Kunden erweitern und wurden aufgefordert zu überprüfen, ob diese Beziehungen zur Pro-Demokratie-Bewegung haben. „Wir sehen, wie China vom Pfad der Offenheit abweicht“, kommentierte der Schweizer Außenminister Ignazio Cassis die Situation damals. Die Chinesen weisen jegliche Kritik zurück, und ein Sprecher des Außenministeriums in Peking nannte die Äußerungen „grundlos und nicht konstruktiv“.

Wie die Financial Times im Dezember berichtete, ist nun in Hongkong eine „stille Absetzbewegung“ von Bankjobs im Gange. Einige Schweizer Finanzakteure orientieren sich daher überraschend gleich in Richtung chinesisches Festland. Anläßlich eines Investorentags verkündigte die Credit Suisse eine Wachstumsoffensive. „Wir wollen die Anzahl der Mitarbeiter in China in den nächsten fünf Jahren verdoppeln“, so Asien-Chef Helman Sitohang. Die Öffnung der dortigen Finanzmärkte für ausländische Investoren bietet neue Möglichkeiten für den Investmentbanking-Sektor der Schweizer.

Pekings Einfluß in Singapur wächst und wächst

Entsprechend gab auch die private Genfer Pictet-Gruppe im November  die Eröffnung ihrer Tochtergesellschaft in Shanghai bekannt und ist damit nach Angaben von Reuters der jüngste globale Geldverwalter, der den schnell wachsenden chinesischen Fondsmarkt erschließt. „Die Expansion nach China ist ein bedeutender Meilenstein in der 215jährigen Geschichte von Pictet“, erklärte Renaud de Planta, Seniorpartner der Pictet-Gruppe voller stolz.

Um auf dem Weltfinanzmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, nehmen die Großbanken den Niedergang ihres Heimatmarktes in Kauf und bauen ihre Präsenz bei der Konkurrenz in Singapur weiter aus. Der südostasiatische Stadtstaat ist laut Kearney auf Platz neun im Städteindex, verliert allerdings drei Plätze im Vergleich zu 2019. Die Analyse der Financial Times zeigt, daß achtmal mehr neue Stellen in dem kleinen Stadtstaat angeboten werden als in Hongkong. Des weiteren baut die Schweizer UBS, die größte Privatbank in der Region, gegenwärtig einen Wolkenkratzer in Singapur, der das neue Hauptquartier in Asien werden soll, mit dem Ziel von dort aus dreißig Prozent des globalen Geschäftes zu betreiben.

Doch der Einfluß Chinas ist auch in Singapur allgegenwärtig, denn Peking pflegt sehr enge Beziehungen mit dem Stadtstaat. Offizielle Quellen der Regierung geben an, daß China der größte Handelspartner Singapurs ist und Singapur der größte ausländische Investor Chinas.

Eine Studie der amerikanischen Jamestown Foundation aus dem Jahr 2019 erörtert die Vorgehensweise der chinesischen Kräfte in Singapur. „Die Hauptwege der Einflußnahme der Kommunistischen Partei sind Wirtschaftsverbände, Organisationen und Vereinigungen“, erklärt Russell Hsiao in seinem Bericht. „Sie verfolgen den Plan von einem ‘größeren China’, und die Propagandabemühungen richten sich an alle Menschen chinesischer Abstammung, unabhängig ihrer Nationalität, die in Singapur leben, sich in Loyalität mit der Volksrepublik zu verbinden“, heißt es weiter.

Mit einer Gesamtbevölkerung von knapp 5,7 Millionen Menschen und einer multikulturellen Mischung in der Gesellschaft sind dennoch 76,2 Prozent der Einwohner des kleinen Staates ethnische Chinesen. „Das grundlegende Ziel ist es daher, Singapur eine chinesische Identität aufzuzwingen, damit es sich an die expandierenden Interessen der Volksrepublik anpassen wird. Die Singapurer hören immer wieder in ihrem eigenen Land, daß es ein chinesisches Land ist, das sich Peking beugen muß“, faßt Hsiao seinen Bericht zusammen.