© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Mit Nachtflügen in die Zukunft
Luftfahrt: Während die deutschen Passagierflughäfen in Existenznöten sind, startet der mitteldeutsche Frachtflughafen Leipzig/Halle durch
Paul Leonhard

Die zweite Corona-Welle läßt den Luftverkehr erneut drastisch einbrechen. Im November verzeichneten die 21 deutschen Verkehrsflughäfen nur noch 1,69 Millionen Fluggäste – das entspricht einem Zehntel des Vorjahres. Die Lage sei „unverändert trostlos, das Verkehrsaufkommen hängt im Lockdown fest“, klagt Ralph Beisel, Geschäftsführer des deutschen Flughafenverbands ADV. „Die Flughäfen arbeiten fernab jeder Wirtschaftlichkeit.“

Der globale Dachverband der Luftfahrtunternehmen (IATA) rechnet mit einem branchenweiten Minus von 157 Milliarden Dollar für 2020/21. Erst mit zunehmenden Corona-Impfungen werde es zu einer Erholung des Geschäfts kommen. Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) rechnet dennoch mit einem Umsatzrückgang von 40 Prozent für die zivile Branche. Nur die Luftfracht widerstand der Pandemie: Es gab viermal so viele Flüge von Fracht- als Passagiermaschinen. Die Cargo-Menge lag 2020 nur wenig unter dem Vorjahresniveau von 4,8 Millionen Tonnen.

Der Flughafen Leipzig/Halle (Airline-Kürzel: LEJ) verbuchte in den ersten zehn Monaten davon allein 1,11 Millionen Tonnen, was einem Wachstum von 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum entsprach. Das ist zwar nur ein Viertel der Luftfrachtmenge von Hongkong oder Memphis und die Hälfte von Doha (Katar), doch das mitteldeutsche Drehkreuz hat sich nach Frankfurt zum zweitgrößten deutschen und fünftgrößten Cargo-Airport Europas gemausert.

Ziel bleibt, der zentrale Frachtflughafen Deutschlands zu werden. Bereits jetzt werden 200 Flughäfen weltweit angesteuert. Am 14. April 2020 verzeichnete Leipzig coronabedingt sogar mit 185 Starts und Landungen sechs Flugbewegungen mehr als Frankfurt. Ursprünglich 1927 auf dem Gebiet der Stadt Schkeuditz eröffnet, ist der Flughafen Heimatbasis der Frachtgesellschaften Aerologic, der European Air Transport Leipzig und von DHL Aviation.

Bald Deutschlands zentraler Frachtflughafen

Im November eröffnete Amazon Air, bislang mit älteren und geleasten Boeing 737 und 767 unterwegs, sein erstes regionales Luftfrachtzentrum in Europa: eine 20.000 Quadratmeter große Anlage mit direktem Zugang zum Vorfeld. In den USA wurden im Januar elf B 767 zusätzlich gekauft. Insgesamt nutzen rund um die Uhr mehr als 60 Cargo-Anbieter den mitteldeutschen Flughafen, um Waren und Güter aus der ganzen Welt umzuschlagen. Die Post-Tochter DHL will ihre Kapazitäten erweitern und Stellflächen für 36 zusätzliche Flugzeuge bauen, ebenso die russische Wolga-Dnepr-Gruppe.

Trotz grünem Koalitionspartner, der offenbar mit Gender- und Quoten-Irrsinn oder polnischen Braunkohlentagebauen voll beschäftigt ist, unterstützt die Sächsische Staatsregierung in Dresden derartige Ansinnen: LEJ sei „so zu entwickeln, daß er als Bestandteil eines leistungsfähigen Verkehrsnetzes einen zentralen Knoten im mitteldeutschen Raum darstellt und damit die Standortgunst der Region national und international wesentlich erhöht“.

Dazu sollen weitere Anlagen, insbesondere Vorfeldflächen und Abfertigungseinrichtungen für den Luftfrachtverkehr entstehen. Schon jetzt zählen die zwei Standorte der Mitteldeutschen Flughafen AG (dazu zählt auch noch Dresden) über 12.000 Beschäftigte. Doch der relative Wohlstand läßt manche übermütig werden. Die Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ mobilisiert Greta-Anhänger. Die Leipziger Grünen fühlen sich von den Dresdner Entscheidungen düpiert. Sie echauffieren sich nicht nur über Lärm, Stickoxide, Feinstaub und CO2, sondern daß die 500 Millionen Euro Erweiterungskosten auch militärischen Zwecken dienen sollen: Die Bundeswehr will hier Transporthubschrauber stationieren.

Das rot-grüne Leipzig hatte unter Verweis auf den „gesundheitsgefährdenden Fluglärm“ 2018 eine Erweiterung des Siedlungsbeschränkungsbereiches ebenso abgelehnt wie das Ziel, LEJ zu einem europäischen Frachtdrehkreuz zu entwickeln. Doch die gerichtlich bestätigte uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis für Expreßgut, niedrige Gebühren, ausreichende Entwicklungsfläche und die Unterstützung von Bund und Freistaat sind entscheidende Wettbewerbsvorteile. Und auch auf kommenden schnellen Umschlag von Corona-Impfstoffen ist man vorbereitet. Das Kühllager des Airports befindet sich im World Cargo Center (WCC). Zuständig ist die auf Flugzeug- und Frachtabfertigung spezialisierte Port-Ground GmbH. Diese garantiere kurze Transportwege und stabile Kühlketten vom und zum Flugzeug sowie Lkw.

Marktbeobachtung Güterverkehr:  www.bag.bund.de