© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Großdeutsch nur bis zum Bosporus
Eine Biographie über das wechselvolle Leben des deutsch-österreichischen Spions Wilhelm Hendricks-Hamburger
Jürgen W. Schmidt

Am 15. Juli 1990 verwahrte sich in der österreichischen Zeitschrift Die Presse ein gewisser „Konsul Dr. Wilhelm Hendricks“ per Leserbrief heftig gegen die Vereinnahmung österreichischer Geschichte durch Deutschland, wie sie etwa der Kieler Historiker Karl Dietrich Erdmann betreibe. 

Wie der Historiker Erwin A. Schmidl  in seiner Biographie schildert, hatte der Leserbriefschreiber ein aufregendes Leben hinter sich, dabei war nur sein Konsultitel wirklich echt. Hendricks hatte ihn 1975 für seine Verdienste im Afrikahandel vom Präsidenten von Gabun Hadji Omar Bongo Ondimba erhalten. Allerdings hieß Hendricks nicht immer so, sondern war als Wilhelm Hamburger 1917 in Österreich in einer betuchten Industriellenfamilie zur Welt gekommen. Die Familie hieß eigentlich „Homburger“ und war aus Süddeutschland in Österreich eingewandert. Wilhelm Hamburgers Vater verlor nach dem Ersten Weltkrieg sein Vermögen, wurde in Österreich NS-Aktivist und war ein „Blutordensträger“. Als der Vater 1936 in Österreich für NS-Umtriebe lebenslange Haft erhielt, floh der 19jährige Sohn Wilhelm ins Deutsche Reich, lebte hier von Mitteln des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks und studierte anschließend mit einem Stipendium des Preußischen Kulturministeriums Geschichte sowie Rechts- und Staatswissenschaften in Berlin. Dabei betätigte sich Hamburger eifrig in SA-Kreisen, mied aber die SS. 

1944 wechselte der Spion zur Seite der Alliierten

Nach Archivstudien in England 1938 und 1939, möglicherweise war er hierbei bereits für die „Abwehr“ tätig, promovierte Hamburger 1940 an der Universität Wien mit einer Dissertation über die „Neuordnung des Arabisch-Asiatischen Raumes 1914–1939“. Diese Arbeit bewirkte, daß er eine Anstellung in der „Abwehr“ erhielt und sogleich in die Türkei reiste. Hamburger warb hier als Informanten einige türkische Eisenbahnschaffner an, sein bester Agent soll ein französischer Geheimpolizist im Libanon gewesen sein. Doch die allermeisten seiner Informationen entnahm Hamburger, wie viele andere Geheimdienstler auch, der regionalen Tagespresse. Ansonsten tobte er sich in Nachtklubs aus und galt als „Lady-Killer“. Dabei pflegte er vorausschauend Kontakte zu feindlichen Agenten aus Großbritannien und den USA. 

Im Februar 1944 wechselte Hamburger in Istanbul die Seiten, wozu neben dem deutlichen Wechsel des Kriegsglücks ein plumper Verhaftungsversuch durch den deutschen Militärattaché beitrug, weil Hamburger sich durch seinen zwielichtigen Bekanntenkreis verdächtig gemacht hatte. Durch sein Überlaufen in Istanbul schlug er unbeabsichtigt den letzten Nagel in den Sarg des „Abwehr“-Chefs Admiral Canaris, denn annähernd zur selben Zeit waren in der Türkei auch die beiden für die „Abwehr“ tätigen Ehepaare Vermehren und von Kleczkowski zu den Alliierten übergelaufen. 

Den Briten machte der nunmehr zum nationalgesinnten Österreicher mutierte großdeutsche „Abwehr“-Mann klar, daß durch ihn persönlich betriebene Rundfunkpropaganda die Österreicher zum Widerstand gegen Hitler bewegt werden könnten. Obgleich der Hamburger-Biograph Erwin A. Schmidl alle dessen überlieferte Propagandatexte von 1944 im Anhang abgedruckt und analysiert hat, dürfte Hamburger keineswegs die „Stimme Österreichs“ verkörpert haben. 

Zur selben Auffassung kamen anscheinend auch die Briten, welche den erfolglosen Rundfunkpropagandisten „Hendricks“, wie er sich aus Tarnungsgründen nannte, zwecks Internierung in den Sudan abtransportierten. Folglich konnte „Hendricks-Hamburger“, wie er sich jetzt nannte, erst Anfang 1946 wieder in Wien auftauchen, wo ihn der US-Geheimdienst CIC sogleich als Ex-„Abwehr“-Mann monatelang internierte. Endlich entlassen, fand Hendricks-Hamburger unter Berufung auf seine Verdienste um Österreich eine Anstellung im Bundeskanzleramt. Doch weil er seine vormalige NSDAP-Mitgliedschaft verschwiegen hatte, dauerte diese Beschäftigung nur wenige Monate. Mit weltmännischem Auftreten gesegnet, fand Hendricks dann seine Berufung schließlich im Außenhandel. Er avancierte im Handel mit Osteuropa, Afrika und Asien zum gesuchten Vermittler und Organisator. Der frühere „Abwehr“-Mann, welcher sich für die „Stimme Österreichs“ hielt, starb hochbetagt am 29. März 2011. 

Erwin A. Schmidl: Hitlers Spion, Österreichs Stimme. Die zwei Leben des Wilhelm Hendricks-Hamburger (1917-2011). StudienVerlag, Innsbruck 2020 gebunden, 360 Seiten, Abb., 34,90 Euro