© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 03/21 / 15. Januar 2021

Abschied von der Global Governance
Der Politologe Maximilian Terhalle benennt überkommene und zukünftige Strategien eines Weltordnungssystems
Peter Seidel

Die Lobeshymnen sind zahlreich, und sie kommen von Kollegen aus vielen Ländern: „Der Autor bürstet kräftig wider den Strich und stellt liebgewordene Denkmuster in Frage“, er „füllt damit ein Vakuum in Deutschland. Seine Ergebnisse  sind unbequem für die von der Friedensforschung dominierten Debatten“, und er „zieht daraus konkrete Folgerungen für die Verantwortung Deutschlands“. Die Rede ist von Maximilian Terhalles Buch „Strategie als Beruf. Überlegungen zu Strategie, Weltordnung und Strategic Studies“. 

International gut vernetzt, ist Terhalle Politikprofessor für strategische Studien an der britischen Universität Winchester, sein Buch eine Sammlung von Essays zur Sicherheits- und Außenpolitik aus den Jahren 2013 bis heute. Im Mittelpunkt steht dabei Terhalles Kritik an der „Global Governance“, also der Vorstellung, internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen würden den Nationalstaat immer unwichtiger machen. Terhalle zeigt, daß der Siegeszug dieser Theorie beendet sei („Ende einer Ära“). Ursache ihres Scheiterns sei neben falschen Prämissen vor allem das Aufkommen der Geopolitik und der sie gestaltenden Großmächte. 

Internationale Beziehungen in der Lehre neu bewerten

Konzentriert in den letzten drei Kapiteln seiner Sammlung macht er deshalb sieben Vorschläge für die Neugestaltung der Lehre von den internationalen Beziehungen an deutschen Universitäten, die er als praxisfremd, einseitig und intellektuell fragwürdig schildert. So ist es auch kein Wunder, daß die Publikation vor allem auf „zukünftige politische Entscheider zielt, die qua der gängigen Sozialisation von Berufspolitikern nur in den seltensten Fällen systematisch strategisches Denken kennengelernt haben“, aber auch auf Studenten und Forscher. 

Letzteres macht sich leider in einer allzu „szientistischen“ Sprache bemerkbar, die seinen zweifellos beachtenswerten Ausführungen viel von ihrer Wirkung nimmt. Ärgerlich ist dabei weniger die recht zufällige Mischung deutscher und englischer Beiträge oder die Nichtübersetzung auch längerer Zitate. Wenn allerdings Begriffe weder übersetzt noch definiert werden, ist das Lesevergnügen deutlich getrübt. Nicht jeder weiß schließlich etwas mit „governance deadlocks“, „enmeshment“ oder der Bedeutung der „English School“ anzufangen. 

Erfreulich ist aber, daß Terhalle souverän genug ist, sich von früheren Festlegungen zu lösen. Dies gilt beispielsweise für die Vorstellung von der Europäisierung französischer Nuklearpotentiale oder der Schaffung einer EU-Armee, wie sie in Berlin grassieren. Es gilt auch für die klare Benennung negativer „Erkenntnistraditionen“, wie er sie nicht zuletzt mit dem Einfluß Jürgen Habermas’ und seinen Adepten in der Politikwissenschaft verbunden sieht. Sein Vorwurf: Dessen Logik gehe von „Voraussetzungen aus, die dem nachkriegsdeutschen Bewußtsein vieler Philosophiefakultäten affin waren, aber an der Abwesenheit dieser normativen Grundlagen im Wettbewerb zumal unter Großmächten damals wie heute scheitert.“

Insgesamt ist Terhalles Sammlung ein erfreuliches Konglomerat spannender Beiträge, was besonders für die bereits in Zeitungen abgedruckten Beiträge gilt, gerade wegen ihrer guten Lesbarkeit auch für fachfremde Leser, die sich selbst einen Eindruck davon verschaffen wollen, was und warum in der deutschen Außenpolitik so vieles schiefläuft.

Maximilian Terhalle: Strategie als Beruf. Überlegungen zu Strategie. Weltordnung und Strategic Studies. Tectum Wissenschaftsverlag, Baden-Baden 2020, gebunden, 346 Seiten, 66 Euro