© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Keine Opfer, sondern Täter
Linksextremismus: Behörden registrieren erhöhte Gewaltbereitschaft / Racheakte
Peter Möller

Das Tatmuster paßt: In der Nacht auf Montag griffen Unbekannte in Essen eine Polizeiwache mit Farbbeuteln an und zündeten vor einer anderen Wache einen Streifenwagen an. Auch wenn noch keine Täter ermittelt wurden, ist die Vorgehensweise in diesem Fall, in dem der Staatsschutz nun die Ermittlungen aufgenommen hat, typisch für das Agieren der linksextremistischen Szene. 

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz spricht man von einer Dynamik, die sich gerade zuspitze, berichtet der in dieser Frage nicht gerade für Alarmismus bekannte Rechercheverbund aus Süddeutscher Zeitung und WDR. Die linksextreme Szene trete enthemmt auf. Nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen Menschen werde Gewalt immer häufiger für legitim erklärt. In einigen Regionen sei laut Inlandsgeheimdienst zu beobachten, daß sich kleinere Zellen „innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene herausbilden“, die sich „vom Rest der Szene abspalten“, heißt es weiter. Zudem verschiebe sich die Zielauswahl der Angriffe „von der institutionellen auf eine persönliche Ebene“. Die Opfer würden teilweise gezielt in ihrem persönlichen Rückzugsraum angegriffen, scheinbar „rote Linien“ würden immer öfter überschritten. „Schwere Körperverletzungen der Opfer bis hin zum möglichen Tod werden billigend in Kauf genommen“, schlußfolgert der Verfassungsschutz.

Das Problem dabei: Den Sicherheitsbehörden gelingt es nur äußerst selten, an Informationen aus dem Inneren der linksextremistischen Gruppen heranzukommen. Der Einsatz von V-Leuten ist anders als in der rechtsextremistischen Szene äußerst schwierig. Mehrfach sind in der Vergangenheit etwa in linksextreme Gruppierungen eingeschleuste Polizeibeamte enttarnt worden. Daher tappen die Sicherheitsbehörden hier vielfach im dunkeln: So kenne nicht einmal der Inlandsgeheimdienst derzeit die echten Namen der wichtigsten Akteure der Szene in Berlin, Leipzig-Connewitz oder auch Hamburg, berichten WDR und Süddeutsche Zeitung. Entsprechend schleppend läuft die Strafverfolgung.

Eine Ausnahme scheint derzeit der Fall der Leipziger Studentin Lina E. zu sein. Anfang November wurde die ursprünglich aus Kassel stammende Frau auf Anweisung des Generalbundesanwalts festgenommen (JF 47/20). Der Vorwurf: Die 25 Jahre alte Studentin soll Rechtsextremisten ausgespäht und Überfälle vorbereitet haben.

Kriminalbeamte fordern Verbot der Antifa

Die Inhaftierung von Lina E. hat die sowieso schon militante linksextremistische Szene in Leipzig in Aufruhr versetzt. Die Studentin, so behauptet die Szene, sei bisher kaum in Erscheinung getreten und nur eine Randfigur. „Wir sprechen uns gegen die Kriminalisierung antifaschistischer Arbeit aus und wollen nicht schweigend mit ansehen, wie Polizei und Presse ein reißerisches Konstrukt an Vorwürfen gegen eine junge Antifaschistin aufbauen“, wird sie im Internet von Sympathisanten verteidigt. 

Nach Erkenntnissen der Ermittler des sächsischen Landeskriminalamtes (LKA) soll Lina E. einer kleinen, gewaltbereiten Zelle von rund zehn Linksextremisten angehören, die abgeschottet und äußerst konspirativ vorgegangen sein sollen. Dies könne als Verstoß gegen den Paragraphen 129a des Strafgesetzbuches, der die Bildung, Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bestraft, ausgelegt werden.  Sicherheitskreise vermuten, daß mehrere Aktionen militanter Linksextremisten in den vergangenen Wochen gezielte Racheaktionen für die Verhaftung von Lina E. waren. Außer den Angriffen auf die Essener Polizeiwachen dürfte auch ein Feuer auf dem Gelände der unter anderem für Rückführungen von abgelehnten Asylbewerbern zuständigen niedersächsischen Landesaufnahmebehörde in Braunschweig, bei dem zehn Kleinbusse zerstört wurden, auf das Konto von Linksextremisten gehen. „Wir stellen in Niedersachsen eine starke Radikalisierung der Szene fest, die sich zu einer terroristischen Struktur entwickelt“, warnte Innenminister Boris Pistorius (SPD). 

Wieviel Zündstoff in dem Thema steckt, zeigte die jüngst um eine Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) zum Thema Linksextremismus entbrannte Diskussion. Im Text der BpB hieß es: „Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um.“ Kritiker warfen der Behörde vor, militanten Linksextremismus verharmlosend als vermeintlich „guten Extremismus“ darzustellen, der im Gegensatz zum Rechtsextremismus, dessen politische Bekämpfung gesellschaftlicher Konsens ist, nicht sonderlich gefährlich sei. Der langjährige Leiter der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, meinte, vom Kommunismus könne nach „100 Millionen Toten“ niemand behaupten, er teile „die Idee der Freiheit“, sagte Knabe der Bild. Nach anfänglicher Rechtfertigung änderte die BpB ihr Dossier mittlerweile und stellt nun fest: „Es handelt sich demnach um Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und die von ihr vertretenen Werte wie Freiheit und Gleichheit abschaffen wollen.“ 

Unterdessen forderte der niedersächsische Bund deutscher Kriminalbeamter das Innenministerium in Hannover auf, „zu prüfen, ob Organisationen wie die linksextremistische Antifa mit einem Betätigungsverbot nach dem Vereinsgesetz zu belegen sind“. Dies wäre „ein starkes Zeichen im Kampf gegen den Linksterrorismus“.