© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

„Nie wieder Rutte“
Niederlande: Regierung stolpert über „Kinderzuschlagaffäre“ / Rücktritt hat eher taktische Gründe
Mina Buts

Die Demonstranten riefen: „Wir sind die Niederlande“ und „Nie wieder Rutte“ , ach nein, offiziell waren es nur Kaffeetrinker, die sich am Sonntag zufällig mit 2.000 Mann auf dem Museumsplatz in Amsterdam trafen. Eine angemeldete Demonstration auf diesem Platz war zuvor von der Stadt verboten, das Ausweichareal von den Veranstaltern abgelehnt worden. Nun stehen also Menschen mit Kaffeebechern und roten Pappnasen auf dem Platz und erklären, sie würden sich nichts wegnehmen lassen, schon gar nicht ihre Freiheit. Die Polizei rückt derweil mit Wasserwerfern, gepanzerten Fahrzeugen, der Reiterei und Hunden an, um die Menschenmenge auseinanderzutreiben. Es gibt 115 Festnahmen und von der Gegenseite die Ankündigung, ab sofort käme man jede Woche an wechselnden Orten auf diese Weise zusammen, bis zur Parlamentswahl am 17. März.

Alle drei Staatsgewalten haben versagt

Die niederländische Regierung, gegen die sich der Protest richtete, war zu diesem Zeitpunkt schon zurückgetreten. Reichlich spät, aber doch in der Hoffnung, daß sich bis zur Wahl im März die Gemüter wieder beruhigt haben und Rutte zum vierten Mal Ministerpräsident werden könnte. Gestolpert war die Regierung über die „Kinderzuschlagaffäre“. 

Ein Untersuchungsausschuß hatte bereits Mitte Dezember das gemeinsame Versagen aller drei Staatsgewalten festgestellt: Etwa 20.000 Eltern waren als „Betrüger“ gebrandmarkt worden, weil sie nicht rechtzeitig ihren Eigenanteil an den Kinderbetreuungskosten überwiesen hatten. Die unflexible Gesetzgebung und das voreingenommene Handeln gepaart mit dem Unverständnis an jeder Form der Elternkritik hatte in vielen Fällen zu Strafzahlungen in Höhe von 17.000 Euro geführt, die dann zur Privatinsolvenz von jungen Familien führte. 

Pikantes Detail: Es handelte sich bei den Betroffenen fast ausschließlich um Familien nicht-niederländischer Herkunft oder Doppelstaatsbürger. Die zugesagte und teilweise schon erfolgte Soforthilfe in Höhe von 30.000 Euro landete indes nicht bei den Betroffenen, sondern diente der Schuldentilgung. „Das hätte nie passieren dürfen“, so der alte und vermutlich auch neue Ministerpräsident Mark Rutte von den Liberalen. Seinen Rücktritt möchte er als „große Geste für die betroffenen Eltern“ verstanden wissen. In Wirklichkeit geht es ihm nur um seine eigene Wiederwahl, die er durch die kurze Pause erreichen will. Schon am Sonntag trat übrigens das eben zurückgetretene Kabinett als Notregierung wieder zusammen, um über geeignete Corona-Maßnahmen bis hin zu Ausgangssperren und Reiseverboten zu verhandeln.