© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Zwischen Frische-Bedenken und Existenzangst
Agrarwirtschaft: Umsatzrekord in der Ernährungsbranche im Corona-Jahr 2020 / Landtechnikindustrie stabil / Sorgen bei den Viehhaltern
Christian Schreiber

Voriges Jahr stieg die Arbeitslosenzahl um 480.000 auf 2,7 Millionen. Zwei Millionen waren im Herbst in Kurzarbeit. Innenstadthändler, Veranstalter oder Gastronomen stehen vor der Pleite. Der systemrelevante deutsche Ernährungssektor hat die Corona-Pandemie hingegen eher gut überstanden. Dies geht aus dem aktuellen „Konjunkturbericht Agrarbusiness“ hervor, der von der Uni Göttingen und Ernst&Young (EY) veröffentlicht wurde.

Die Betriebe der Lebens- und Futtermittelindustrie, von der Landtechnik bis hin zu den Düngemittelherstellern erzielten einen Umsatz von etwa 234 Milliarden Euro. Dies sind nur 1,7 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Ernährungsindustrie als größte Teilbranche hat ihren Umsatz um 0,5 Prozent auf 186,3 Milliarden Euro steigern können – eine Auswirkung der Hamsterkäufe und Preissteigerung vom Frühjahr?

Im März/April kam der Bestellhandel mit Nahrungsmitteln von Rewe, Bringmeister/Edeka wochenlang der Nachfrage nicht hinterher. Selbst bei Amazon waren nicht nur FFP2-Masken, sondern auch manche Lebensmittel oder Toilettenartikel nicht lieferbar. Im Mai gaben 22 Prozent der Befragten an, gelegentlich Lebensmittel online zu bestellen. Die Mehrheit hatte aber „Frische-Bedenken“. Mehr Vertrauen genossen Tiefkühl-Lieferanten wie Bofrost oder Eismann.

„Der deutsche Markt für Online-Lebensmittelhandel hatte sich in der Vergangenheit im Vergleich zu anderen Ländern eher zurückhaltend entwickelt – unter anderem ein zu dichtes Filialnetz und zu hohe Wechselkosten verhindern bisher einen Boom in Deutschland. Und auch die Corona-Pandemie hat nicht für einen solchen gesorgt – das liegt auch am starken Stadt-Land-Gefälle“, erklärte Ramona Weinrich von der Uni Göttingen. In Großstädten wie Berlin oder Hamburg würden entsprechende Angebote eher genutzt.

Die Fleischwirtschaft litt hingegen spürbar unter Corona – und das nicht nur wegen des eingebrochenen Imbiß- und Restaurantumsatzes. Noch im ersten Quartal steuerte die Branche mit einer Umsatzsteigerung von 20,7 Prozent auf ein neues Rekordjahr zu. Neben den Einschränkungen des öffentlichen Lebens bereiteten aber mehrere Corona-Ausbrüche in Schlachtbetrieben sowie der Exportstopp wegen der Afrikanischen Schweinepest (ASP, JF 39/20) der Entwicklung ein jähes Ende. Auch die Diskussion um Werkverträge und Leiharbeiter belastete das Geschäftsklima (JF 28/20).

All das führte dazu, daß vielen Konsumenten die Wertigkeit der Erzeugung vor Ort wieder bewußt geworden ist. Bei Fleisch und Geflügel konnten heimische Metzger in den ersten drei Quartalen 2020 mengenmäßig ein Plus von knapp 23 Prozent und wertmäßig sogar eines von 30 Prozent notieren. Große Exportbetriebe sind hingegen in Sorge: „Die Afrikanische Schweinepest hängt wie ein Damoklesschwert über der Fleischbranche und ließ die so wichtigen Exporte in 2020 einbrechen. Der Zugang zum wichtigen britischen Markt ist 2020 sowohl durch Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie als auch durch den drohenden Brexit eingeschränkt worden. Es bleibt abzuwarten, ob das nun ausgehandelte Abkommen die Exporte in 2021 wieder erhöhen wird“, sagt EY-Partner Christian Janze.

Nach einem überaus guten Jahr 2019 litt auch die Molkereibranche unter der Corona-Krise. Und nach den niedrigen Preisen für Milchbauern sei auch für 2021 keine Besserung in Sicht. „Das ist die blanke Existenzangst“, erklärte Uta von Schmidt-Kühl, Chefin der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“ (LsV) in Schleswig Holstein. Immerhin hat Aldi im Dezember versprochen, seine Frischmilch künftig nur noch aus heimischer Landwirtschaft zu beziehen – nur der Preis richte sich weiter nach Angebot und Nachfrage. Der Butterpreis ist derzeit im Keller. Und die Molkereien können ihre Auszahlungspreise nicht erhöhen, wenn die Discounter nicht mitziehen.

Die Landtechnikindustrie blieb 2020 mit einem Umsatz von 8,6 Milliarden Euro stabil – auch dank eines Exportanteils von etwa 75 Prozent. Deutsche Traktoren oder Melk- und Erntemaschinen seien auch künftig gefragt – vor allem in Osteuropa, Rußland, Amerika und China, „weil die Landwirtschaft in diesen Regionen einen höheren Stellenwert als in Deutschland und Westeuropa hat und oftmals in ihrer strategischen Bedeutung als deutlich wichtiger eingestuft wird“. Es sei aber zu befürchten, daß wegen der „kritischen Betrachtung der Landwirtschaft in Deutschland die Investitionsbereitschaft hierzulande nachhaltig sinken wird“.

„Konjunkturbarometer Agribusiness in Deutschland 2021“: www.ey.com