© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

50 Jahre Big Brother sind genug
Europäische Union: Digitale Netze und Märkte bändigen und Verbraucher schützen
Curd-Torsten Weick

Die Entscheidung, die Social-Media-Accounts des US-Präsidenten zu löschen, fand bei Polens Premier Mateusz Morawiecki wenig Anklang. Im Gegenteil. Besitzer von Plattformen wie Facebook, Twitter, Instagram, Google und Co. dürften „nicht über den Gesetzen operieren“, so der 52jährige. Deshalb werde die polnische Regierung alles tun, um die ehrgeizige EU-Reform des digitalen Raums in die richtige Richtung zu lenken. 

„Fast 50 Jahre lang lebten wir in einem Land, in dem es Zensur gab; ein Land, in dem Big Brother uns sagte, wie wir leben, was wir denken und fühlen sollen – und was wir denken, sprechen und schreiben sollen. Deshalb schauen wir uns alle Versuche genau an, die die Freiheit einschränken“, erklärte der PiS-Politiker auf Facebook. „Social Media muß uns dienen – der Gesellschaft, nicht den Interessen ihrer mächtigen Besitzer. Alle Menschen haben ein Recht auf Redefreiheit. Polen wird dieses Gesetz verteidigen“, so Morawieckis Fazit.

Die große Frage ist nun: Wird Polen der am 15. Dezember von der EU-Kommission vorgeschlagenen Reform des digitalen Raums zustimmen? Dabei handelt es um ein umfassendes Paket mit neuen Vorschriften für alle digitalen Dienste wie soziale Medien, Online-Marktplätze und andere Online-Plattformen, die in der Europäischen Union tätig sind: das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) und das Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act). 

Im Einklang mit den europäischen Werten – wie Achtung der Menschenrechte, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit – soll der neue Rahmen „wieder ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Rechten und Verantwortlichkeiten der Nutzer, der vermittelnden Plattformen und der Behörden herstellen“.

Die neuen Bestimmungen sollen die Verbraucher und ihre Grundrechte im Internet besser schützen und zu faireren und offeneren digitalen Märkten für alle führen. Darüber hinaus sollen die neuen Vorschriften verhindern, daß Online-Plattformen, die zu „Torwächtern“ des Binnenmarkts geworden seien, „unfaire Bedingungen“ anwenden.

Bei Verstößen winken den „Torwächtern“ mögliche Geldbußen in Höhe von bis zu 10 Prozent ihres  weltweiten Umsatzes. „Im Wiederholungsfall könnten diese Sanktionen auch die Verpflichtung umfassen, strukturelle Maßnahmen zu ergreifen, die sich sogar auf die Veräußerung bestimmter Geschäftsbereiche erstrecken können, wenn es keine andere ebenso wirksame Alternative gibt, um die Einhaltung der Vorschriften sicherzustellen“, so die Kommission.

Dieses Jahr werden sowohl das  EU-Parlament als auch die EU-Mitgliedstaaten die Vorschläge der Kommission im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens debattieren und gegebenenfalls ändern.