© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Nichts entsteht ohne Opfer
Film: Zu den Historienserien „Barbaren“, „El Cid“ und „Der erste König“
Karlheinz Weißmann

Der große Religionswissenschaftler Mircea Eliade hat davon gesprochen, daß alle Mythen ihrem Wesen nach Schöpfungsmythen sind. Das heißt, es handelt sich um Erzählungen, die den Ursprung von etwas und damit dessen Wesen erklären. Das gilt auch für Mythen über den Anfang der Völker. Sie beziehen sich in der Regel auf eine fernere Vergangenheit, als die Gemeinschaft entstand. Lange Zeit hatten solche Mythen entscheidende Bedeutung für die Bewahrung von Identität. Aber in dem Maß, in dem das „Narrativ“ der „Einen Welt“ durchgesetzt wurde, sind sie in Vergessenheit geraten oder haben doch ihre sinnerschließende Funktion verloren.

Wenn sich nun die Filmbranche Ursprungsmythen zuwendet, könnte das eine Kehre signalisieren. Schon im vergangenen Herbst erstaunte die Ankündigung von Netflix, eine Serie unter dem Titel „Barbaren“ ausstrahlen zu wollen, in deren Zentrum es um den Konflikt zwischen Römern und Germanen gehe und um die Figur des Arminius/Hermann, jenes legendären Befreiers, der lange Zeit als „der erste Deutsche“ galt.

Aber abgesehen von einer opulenten Ausstattung hinterläßt die Verfilmung einen negativen Eindruck. Das hat weniger mit den historischen Ungenauigkeiten zu tun, mehr mit dem Versuch, einerseits die Optik von „Vikings“ oder „Game of Thrones“ zum Vorbild zu nehmen, andererseits die Forderungen politischer Korrektheit zu erfüllen. So wird konsequent alles vermieden, was die Germanen überhaupt als solche oder gar als Vorbilder erscheinen lassen würde, und Thusnelda, die spätere Gattin des Arminius, tritt auf und handelt, wie das für eine Frau der Zeit schlechterdings unvorstellbar ist.

Damit ist nichts gegen die Notwendigkeit gesagt, den Zuschauer zu unterhalten und ihm die Motive der Figuren verständlich zu machen. Aber eine Grenze wird überschritten, wenn es nur noch darum geht, daß „Menschen mit Gefühlen und Vorstellungen des 21. Jahrhunderts“ (Rudolf Simek) in altertümlicher Kleidung Probleme der Gegenwart lösen.

Dieser Gefahr ist die von Amazon Prime produzierte Serie „Cid“ gekonnter entgangen als „Barbaren“. Auch heute dürfte in Spanien noch fast jeder wissen, um wen es sich beim „Cid“ handelt: um Rodrigo Diaz de Vivar, einen Ritter des 11. Jahrhunderts. Sein Beiname „Cid“ wurde allerdings vom arabischen sidi für „Herr“ abgeleitet. Was schon darauf hinweist, daß der Cid eine Figur aus der Zeit der Reconquista war, als das christliche Spanien daranging, die muslimischen Eroberer des Landes nach und nach zurückzudrängen.

Widerspruch zu heutigen Sehgewohnheiten

Die filmische Umsetzung kann deshalb nicht nur in prächtigen Kulissen und dramatischen Kampfszenen schwelgen, sondern auch mehrere Handlungsstränge nebeneinander laufen lassen. Dabei geht es einmal um die romanhafte Ausgestaltung der Lebensgeschichte des Cid, aber fast mehr noch um die komplizierte politische Struktur der Iberischen Halbinsel im Mittelalter. Denn die war nicht nur vom Religionsgegensatz bestimmt, sondern mehr noch von den dauernden Konflikten der Königreiche Kastilien, Leon, Asturien, Aragon und Navarra. Die Versuche ihrer Herrscher, die Konkurrenten – und oft genug Nahverwandten – auszuschalten und eine Hegemonialstellung zu gewinnen, führte immer wieder zu Bündnissen zwischen Christen und Muslimen. Glaubensfragen konnten rasch in den Hintergrund treten, wenn letztlich Machtfragen den Ausschlag gaben.

Das alles setzt „Cid“ gekonnt in Szene. Bleibt als kleineres Manko nur die irritierende Verkörperung des Cid durch den Schauspieler Jaime Lorente. Der Kontrast zu dem Hünen Charlton Heston, der den Cid in dem gleichnamigen Spielfilm von 1961 darstellte (die weibliche Hauptrolle übernahm Sophia Loren; Regie: Anthony Mann) ist jedenfalls groß.

Womit nichts gegen die Serie selbst gesagt sei, die das Wichtigste leistet, was sie leisten soll, indem sie den Stoff gut, ohne allzu viele modische Mätzchen erzählt. Damit ist allerdings ein deutlicher Qualitätsunterschied zu einem Film markiert, der in Italien unter dem Titel „Il primo re“ – „Der erste König“ (Regie: Matteo Rovere) produziert wurde. Der Streifen sollte eigentlich im vergangenen Frühjahr in die Kinos kommen. Das hat der Ausbruch der Corona-Pandemie verhindert, so daß er über Amazon Prime und DVD verbreitet werden mußte. Es bleibt allerdings fraglich, ob „Der erste König“ unter günstigeren Umständen geeignet gewesen wäre, ein Massenpublikum zu erreichen. Dazu widerspricht das Konzept zu entschlossen heutigen Sehgewohnheiten.

Wenn die Idee, in „Barbaren“ die Römer Latein sprechen zu lassen, lediglich ein hübscher Einfall war, dann setzt das archaische Idiom, das die Akteure der Originalversion von „Der erste König“ reden (die deutsche Synchronisation hat ihre Tücken), bewußt auf Verfremdung. Die Wirkung ist um so stärker, als auch die Inszenierung des Handlungsverlaufs eine Welt zeigt, die von unserer radikal verschieden ist. Dabei wird der Mythos von Romulus und Remus und der Gründung Roms nicht einfach seiner phantastischen Merkmale entkleidet – der Zeugung der Zwillinge durch den Gott Mars, der Aussetzung, der Aufzucht durch eine Wölfin etc. –, sondern ein Szenario entworfen, das auf andere Weise, aber nicht weniger, irritiert und in vielen Zügen rätselhaft bleibt.

Letztlich geht es in „Der erste König“ um die Stiftung eines Volkes und um die Frage, wie man einer solchen Stiftung Dauer verleihen kann. Die eine Möglichkeit, die entwickelt wird, setzt alles auf den Männerbund und seine latente Gewaltbereitschaft. Dafür steht im Film Remus. Die andere bezieht die ganze Gemeinschaft ein und setzt auf die Zähmung der Gewalt durch Gegengewalt wie Frömmigkeit. Dafür steht Romulus, der „erste König“. Das Ganze ist mit starken, manchmal verstörenden Bildern in Szene gesetzt, die leicht für gewisse Schwächen der Handlungsstruktur entschädigen. Das gilt vor allem, weil der Film ein Wissen wieder zur Geltung bringt, von dem die Modernen nichts hören wollen, das aber zum Kern alles Mythischen gehört: Es entsteht nichts Großes ohne – blutiges – Opfer.

„Barbaren“ kann auf Netflix, die anderen beiden Serien auf Amazon Prime abgerufen werden.