© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Kippt das Einstimmigkeitsprinzip?
Vor dem Hauptsacheverfahren: Beim Streit um den Rundfunkbeitrag wird an den Prozessen zur Abstimmung und Festlegung gerüttelt
Gil Barkei

Die Erhöhung der Rundfunkgebühr zum 1. Januar konnte abgewendet werden (JF 51/20). Doch damit ist eine Erhöhung nicht vom Tisch. Vielmehr wird fleißig an dem bestehenden Verfahren zur Beitragsbestimmung gerüttelt. Abgabesteigerungen könnten damit künftig leichter durchgesetzt werden.

Kurz vor Weihnachten wies das Bundesverfassungsgericht den Eilantrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio gegen die Blockade der geplanten Anhebung von 17,50 auf 18,36 Euro monatlich zurück. Die Richter sollten die Gebührenerhöhung einstweilig anordnen, stattdessen befanden sie, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht ausreichend dargelegt hätten, warum eine Verzögerung des Inkrafttretens des neuen Vertragswerks „irreversibel zu schweren Nachteilen“ führe. Damit rückt nun das Hauptsacheverfahren der Verfassungsbeschwerde der Sender in den Fokus. Hier wollen sich auch die Länder gemeinsam mit einer einheitlichen Erklärung vertreten lassen.

Die Vorbereitungen werden derweil von Debatten zu finanziellen Anpassungen begleitet. Diese seien aus Sicht der Rundfunkanstalten wegen der gestoppten Mehreinnahmen nötig. „Ein Ausbleiben der Beitragsanpassung wird gravierende Maßnahmen erfordern, die man im Programm sehen und hören wird“, sagte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow gegenüber der dpa. Das Deutschlandradio kündigte als Spar-Reaktion alle Tarifverträge mit Laufzeitende März 2022.

Gleichzeitig nehmen Forderungen nach umfangreichen Reformen zu. Erste Ansätze kommen auch aus den Rundfunkanstalten selbst. SWR-Intendant Kai Gniffke beispielsweise schlägt eine enge Zusammenarbeit mit dem kleinen Saarländischen Rundfunk vor. „Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen des SR einladen, um zusammen darüber nachzudenken, ob wir gemeinsame Direktionen schaffen wollen. Das könnte sich zum Beispiel auf die Produktion, das Justitiariat und auf die Verwaltung beziehen. Hier geht es um institutionell definierte, gemeinsame Strukturen“, sagte er im Interview mit dwdl.de. Haken: Der SR will sich nicht mit dem SWR vereinen. „Ich weise die Überlegungen meines SWR-Kollegen entschieden zurück“, sagte SR-Intendant Thomas Kleist. Sein Sender werde „weder Direktionen zur Disposition stellen, noch Strukturen des SWR übernehmen“.

Der Chef der Staatskanzlei Sachsens, Oliver Schenk (CDU), hatte zuvor in der FAZ insgesamt „einen großen Wurf“ gefordert, um die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu verbessern. „Ein ‘Weiter so’ geht auf keinen Fall“. Daher sei es notwendig, nach viel zu langem Zeitlassen auch endlich über eine Neuformulierung des Auftrags zu sprechen. Dieser müsse die Unterschiede zu privaten Anbietern deutlicher machen, ARD und ZDF Flexibilität ermöglichen und auf die Veränderungen in der Mediennutzung reagieren. Laut Schenk, der auch die Medienpolitik der CDU-regierten Bundesländer koordiniert, sollten die Länderparlamente bei der Definition eine aktivere Rolle spielen. In den momentan gültigen Abläufen zur Beitragsfestsetzung sei dies kaum möglich, da es sich um ein unpolitisches Verfahren handele, obwohl die Auftragsjustierung eine politische Aufgabe sei.

Das Indexmodell kommt wieder auf den Tisch

Daß eine Reform des Auftrags nicht automatisch grundlegende Sparmaßnahmen bedeuten, sondern im Gegenteil den Grundversorgungsauftrag der Informationsvermittlung weiten könnte, verdeutlichte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Ein „vielfältiges, vertrauenswürdiges Angebot in Audio, Video und im Internet“ sei wichtiger denn je, betonte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Öffentlich-Rechtlichen zu reinen Nachrichtenkanälen zusammenzusparen, wäre „auch rechtlich fragwürdig“.

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) merkte in einer Stellungnahme gar an, das Verfahren zur Festlegung der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Sender dürfe „in seiner Struktur nicht den Unsicherheiten medienpolitischer Debatten ausgeliefert“ sein. Damit stellt Grütters die bisherige Einbindung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) in Frage. Die KEF prüft den Finanzbedarf der Anstalten und gibt eine entsprechende Empfehlung zur Höhe des Rundfunkbeitrages ab.

Bereits 2019 wurde darüber gestritten, dieses System durch ein Indexmodell abzulösen, durch das die Zwangsgebühren automatisch steigen würden, ohne alle vier Jahre zu den neuen Beitragsperioden durch die Landesparlamente zu müssen. Auch für Schenk „ein durchaus denkbarer Weg“, der nun noch einmal diskutiert werden würde.

Die CDU in Sachsen-Anhalt hatte bei ihrem von der AfD unterstützten Widerstand gegen die Beitragserhöhung die Rolle der KEF betont. Diese solle angesichts der ökonomischen Lasten durch die Corona-Pandemie eine Neuberechnung der Beitragsempfehlung vornehmen. Von diesen wirtschaftlichen Verwerfungen seien allerdings auch ARD & Co. betroffen, gibt Medienpolitiker Schenk gegenüber der FAZ zu bedenken: „Es ist nicht sicher, ob ein solches Gutachten zu einer Verringerung der geplanten Beitragserhöhung führen würde. Wer die vorgesehenen 18,36 Euro in Frage stellt, geht das Risiko ein, eine höhere Empfehlung zu erhalten, weil auch die Öffentlich-Rechtlichen von der Pandemie betroffen sind, sei es durch höhere Produktionskosten oder geringere Werbeeinnahmen. Hinzukommen dürfte eine zunehmende Zahl von Befreiungen oder Ermäßigungen.“ Zudem ließen sich die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Einkommenssituation jetzt noch gar nicht seriös ermitteln.

Um das Ziel einer „stabilen Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erreichen“ und damit um „innovative Ideen“ nicht „an Partikularinteressen“ scheitern zu lassen, könnte es daher sogar nötig sein, das Einstimmigkeitsprinzip zu kippen. Bisher müssen alle 16 Bundesländer einer Rundfunkteuerung zustimmen.