© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Sich im Lockdown die Kugel geben
Fitneßstudios geschlossen: Die „Kettlebell“ ermöglicht umfassendes Training zu Hause
Maik Stüssel

Für alle Menschen, welche regelmäßig die Ertüchtigungshallen der Bundesrepublik aufsuchen, um ihre Körper zu stählen, würde mit Anfang des neuen Jahres die wohl nervenaufreibendste Zeit des Jahres beginnen. Die Saison der Fitness-Rookies und der guten Vorsätze. Überfüllte Umkleidekabinen, Schlangen vor den vollgeschwitzten Hantelbänken, Studio-Neulinge, welche sich in der neuesten Sportmode auf den Crosstrainern, Indoor-Bikes und Laufbändern abquälen, um das über Weihnachten oder gar über das gesamte letzte Jahr im Homeoffice angesammelte Hüftgold endlich schmelzen zu lassen und das neue Ich öffentlichkeitswirksam mit Spiegelselfies auf Social Media in Szene zu setzen. 

Doch dieses Jahr ist alles anders. In der gesamten Republik haben Fitneßstudios seit Beginn des zweiten Lockdowns im November 2020 wieder geschlossen, wodurch dem erfahrenen Gym-Veteranen zu Beginn des Jahres 2021 der Anblick der übermotivierten Neuankömmlinge erspart bleibt. Leider, denn auch ihm bleibt der tägliche Gang in die Muckibude verwehrt.

Der Studio-Veteran hat im Idealfall bereits seit März 2020 Erfahrung im Umgang mit Lockdowns und Schließungen und weiß genauestens Bescheid, wie er weiterhin fit bleibt und dem körperlichen Verfall entgeht. Für viele Unerfahrene stellt sich nun die Frage, wie sie den Winterspeck wieder loswerden oder effektiv Muskelaufbau betreiben. Das wichtigste ist, überhaupt irgendwas zu machen und sich nicht stundenlang im Internet auf die Suche nach dem „perfekten“ Trainingsplan zu begeben und frustriert, diesen nicht auf Anhieb gefunden zu haben, das Handtuch zu schmeißen.

Den einen Weg, welcher für alle gleichermaßen gilt, gibt es nicht. Jeder Mensch ist in seiner Beschaffenheit aus Alter, Geschlecht, körperlicher Verfassung unterschiedlich. Ein gesunder Menschenverstand ist an dieser Stelle unabdingbar. So sollten stark übergewichtige Menschen nicht zwangsweise versuchen joggen zu gehen, sondern lieber zum (Heim-)Fahrrad greifen, um ihre Gelenke zu schonen und nicht unnötig schwerer Belastung auszusetzen. Für Menschen, die bereits ein wenig Erfahrung bei der körperlichen Ertüchtigung haben und dementsprechend über ein gewisses Körpergefühl verfügen, kann sowohl der Rückgriff auf Altbewährtes oder die Recherche im Internet – insbesondere Youtube – für die nötige Inspiration sorgen.

Für Menschen, welche entweder nicht über die notwendigen finanziellen oder räumlichen Ressourcen verfügen, gibt es einige simple und dennoch effektive Möglichkeiten, den eigenen Körper in Form zu bringen und gestärkt aus der Zeit der Einschränkungen hervorzugehen. Eigengewichtsübungen mit Liegestütz, Kniebeugen oder Klimmzügen – neuerdings bekannt unter dem englischen Wort „Calisthenics“ (JF 42/19) – können eine sinnvolle Basis für das individuelle Training darstellen, da sie nicht nur einzelne Muskeln, sondern ganze Muskelgruppen oder gar den gesamten Körper ansprechen und dabei keiner oder nur weniger Gegenstände bedürfen.

Lange Tradition in Europa

Immer beliebter für das (heimische) Trainingsprogramm wird die „Kettlebell“, die Kugelhantel. Diese hat in den 2010er Jahren insbesondere in den Vereinigten Staaten und im dortigen Militär zunehmend an Popularität gewonnen, bevor sie von der „CrossFit“-Welle (JF 2/18) nach Westeuropa getragen wurde. Die Ursprünge reichen allerdings weit zurück bis ins russische Zarenreich. Auch in Deutschland war die Kugelhantel gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein von Kraftsportlern wertgeschätztes effektives Trainingsgerät. So gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einigen deutschen Turnverbänden sogenannte „Rundgewichtsriegen“, in denen unter anderem mit den eisernen Kugeln jongliert wurde. „Muskelmänner“ demonstrierten an ihnen auf Jahrmärkten ihre Kraft. 

In der ehemaligen Sowjetunion wurde die lange Tradition der Kugelhantel gepflegt, die als fester Bestandteil in das militärische Krafttraining integriert wurde. Auch in der NVA der DDR gehörte sie zur Grundausstattung eines jeden Kraftraums und zählte somit zum Ertüchtigungsprogramm der Soldaten.

Übungen, welche mit der Kugelhantel ausgeführt werden, reichen von einfach zu meisterndem Kreuzheben, Schulterdrücken oder Ausfallschritten bis hin zu anspruchsvolleren Bewegungsabläufen wie Schwingen, Windmühle oder Reißen & Stoßen. Simpel aussehend, aber überraschend herausfordernd ist auch das „Türkische Aufstehen“ vom Boden mit über dem Kopf balancierter „Kettlebell“. Je nach aktuellem Trainingsstand gibt es unterschiedlich schwere „Kettlebells“ zu erwerben, die von vier Kilogramm bis zu 92 Kilogramm variieren. Die Modelle 8kg, 16kg, 24kg und 32kg stellen dabei die traditionellen Gewichtsgrößen dar. Hinzu kommen unterschiedlich dicke Griffbügel, die je nach Stärke die Griffkraft anders trainieren. Auf dem Markt gibt es verschiedene Anbieter, welche die „Rundgewichte“ vertreiben. Manche bieten Sonderexemplare in Form von Gorillaköpfen oder anderen Motiven an. Es sollte unbedingt auf das Material (Eisen, Stahl, Beton), die Qualität und die Herstellung der „Kettlebells“ geachtet werden, die dafür lange halten und – eine regelmäßige Nutzung vorausgesetzt – ein Leben lang für au­tarke und effektive Trainingseinheiten sorgen werden.