© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 04/21 / 22. Januar 2021

Kabinenklatsch
Das Sportliche gerät zur Nebensache
Ronald Berthold

Ich kann es nicht mehr hören. Am Wochenende habe ich mir die Spiele der beiden Berliner Fußball-Bundesligisten angeschaut. Union hat wieder einmal überzeugt und nun auch Leverkusen geschlagen nach Hause geschickt. Doch schon direkt nach dem Abpfiff ging das Theater los.

Bayers Jonathan Tah baute sich vor der Kamera auf und polterte, „das Bitterste am ganzen Abend“ sei nicht die Niederlage, sondern eine rassistische Beleidigung. Damit gehörte der Verteidiger, der zuletzt ziemlich viele Gegentore verschuldete, mit einem Mal zu den Gewinnern. Wenigstens in Sachen Moral – und die ist ja heute oft wichtiger als das Ergebnis.

Der dunkelhäutige Nationalspieler behauptete, irgendein Unioner habe zum anderen deutschen Nationalspieler Nadiem Amiri „Scheiß-Afghane“ gesagt. Später mußte er zugeben, das gar nicht selbst gehört zu haben. Aber immerhin war er der erste, der bei den Journalisten Meldung machte: „Ich hoffe, daß das irgendwie Konsequenzen hat.“ 

In der Halbzeit erklärt ein Funktionär, wie wichtig der Kampf gegen Homophobie und so weiter sei.

Amiri hatte wegen Meckerns nach Unions Siegtreffer kurz vor Schluß Gelb gesehen und einem Berliner gar mit dem Finger ins Gesicht gelangt. Das DFB-Sportgericht nahm sofort die Ermittlungen auf – gegen den Unioner.

Einen Tag später schaltete ich Köln gegen Hertha ein. Die Rheinländer trugen Trikots mit dem Sponsorschriftzug in Regenbogenfarben. Wie ein Erziehungsberechtigter erklärte der Kommentator, was für ein mutiges Bekenntnis gegen Homophobie und Rassismus das sei. Ich erfuhr: Die Kölner hatten Herthas Spielführer noch eine „Diversity“-Kapitänsbinde überreicht, die dieser brav über den Platz trug. Was hätte er tun sollen? Ohne wäre er wahrscheinlich gleich vor den medialen und dann vor den juristischen Sportgerichtshof zitiert worden. Im Halbzeit-Interview erklärte ein Kölner Funktionär mit aufgeblasenen Nasenlöchern und Nerd-Brille, wie wichtig es sei, gegen Rassismus, Homophobie und was weiß ich noch alles zu kämpfen. Ich knipste den Ton aus und schlug im Kicker nach, um zu erfahren, ob der Hertha-Stürmer nun im Abseits stand oder nicht.