© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Unter der Spree, juchhe!
Paul Rosen

Die Liste der unvollendeten Berliner Bauprojekte ist wieder etwas kürzer geworden. Im vergangenen Herbst eröffnete der Berliner Großflughafen BER nach insgesamt 30jähriger Planungs- und Bauzeit und mit achtjähriger Verspätung. Trotz diverser Betriebspannen wie unter Strom stehenden Fluggastkontrollanlagen mußte der BER auch noch nicht wieder geschlossen werden. 

Und siehe da: Seit Anfang Dezember des letzten Jahres ist auch die Verlängerung der U-Bahnlinie 5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof in Betrieb. Die U5 ist alles andere als eine Verbindung einiger Stadtteile, sondern sie erschließt das politische Berlin vom Roten Rathaus über das Botschaftsviertel am Brandenburger Tor bis hin zum Reichstag, ehe sie am neuen Hauptbahnhof, dem früheren Lehrter Stadtbahnhof, endet. Daher bekam sie auch den Namen „Kanzler-U-Bahn“, obwohl nie ein Kanzler oder eine Kanzlerin in Berlin mit der U-Bahn fahren würde. Das Sicherheitsrisiko wäre zu groß.

Immerhin beteiligte sich der Bund mit 170 Millionen Euro an dem Projekt. Und das ist der Grund, warum die Linie überhaupt fährt. Wegen der ewig leeren Landeskasse wollte der Berliner Senat den Bau schon Mitte der 90er Jahre, wenige Jahre vor dem Bundestagsumzug von Bonn nach Berlin, stoppen. Erst als die Bundesregierung intervenierte und die Rückzahlung des bereits gezahlten Zuschusses verlangte, entschloß sich der Senat nach dem Regierungs- und Parlamentsumzug Anfang der 2000er Jahre zum Bau der Verlängerung. Für die 2,2 Kilometer lange Strecke (ein kleines Teilstück vom Hauptbahnhof zum Bundestag war schon früher fertig geworden) benötigten die Berliner Verkehrsbetriebe rund zehn Jahre, für jeden Kilometer also rund fünf Jahre – ein Negativrekord im Tunnelbau.

Sicher, der märkische Sandboden und das Spreewasser verzögerten den Bau, aber anderswo wird ebenfalls unter schwierigen Bedingungen erheblich schneller gebaut als in Berlin: So wurde im südamerikanischen Andenstaat Peru der 1,4 Kilometer lange Tunnel „Punte Olimpica“ auf 4.735 Metern Höhe in einer Bauzeit von nur 15 Monaten fertiggestellt. Auch der Gotthard-Basistunnel in der Schweiz, 57 Kilometer lang und mit zwei Röhren sowie Fluchttunnels ein Rekordwerk der Ingenieurkunst, war nach 17jähriger Bauzeit fertig. In Berlin wurde die Eröffnung nicht besonders groß gefeiert. Hunderte Eisenbahnfans drängten sich am Bahnhof Alexanderplatz, um in den ersten durchfahrenden Zug zu kommen und vergaßen dabei alle Corona-Abstandsgebote. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kam erwartungsgemäß nicht, meldete sich aber mit einer Videobotschaft zur Eröffnung der neuen Linie, deren Haltestelle Bundestag auch den Weg zum Kanzleramt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtert: „Berlin, die einst geteilte und seit 30 Jahren geeinte Stadt, rückt heute ein weiteres Stück näher zusammen“, so die Kanzlerin zur Inbetriebnahme. Zur Zeit sind öffentliche Verkehrsmittel und Hotels jedoch leer, außerhalb der Stoßzeiten gleicht die U5 einer Geisterbahn.