© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Den Planeten verteidigen
Hera-Mission: Die europäische Raumfahrtbehörde Esa will die Erde vor Asteroiden-Einschlägen schützen
Josef Hämmerling

Der 5. Januar des neuen Jahres hat gezeigt, wie verletzbar die Erde ist. An diesem Tag schlug rund 120 Kilometer östlich der norwegischen Hauptstadt Oslo ein Meteor ein. Der Himmelskörper, dessen Gewicht die seismologische Forschungsstiftung Norsar auf ein halbes bis zwei Kilogramm schätzt, schlug mit etwa 50.000 Stundenkilometer in einem tief verschneiten und schwer zugänglichen Wald ein. Auch aufgrund der geringen Größe war jedoch kein größerer Schaden zu verzeichnen. 

Norsar-Direktorin Anne Lycke bezweifelt, daß jemand auf den Festkörper stoßen wird. „Es erfordert zuallererst Glück, um einen Meteoriten tief im Wald zu finden“, schreibt sie auf Facebook. Während derartige Meteoriten keine ernsthafte Gefahr für die Erde darstellen, sieht das bei großen Himmelskörpern schon anders aus. 

Aus diesem Grund starten die US-Raumfahrtbehörde Nasa und ihr europäisches Pendant, die European Space Agency (Esa), in diesem Jahr und 2024 zwei Weltraummissionen zum Schutz der Erde. 

Nasa und Esa wollen mit Satellit Asteroid umlenken

Im Juli startet die amerikanische Raumfahrtbehörde den sogenannten Double Asteroid Redirection Test (DART) zur doppelten Umlenkung von Asteroiden mit einem Satelliten. Hierzu wird der 162 Meter große und 500 Kilogramm schwere DART-Satellit zum Asteroiden Didymos geschickt, wo er 2024 mit einer Geschwindigkeit von 23.000 Stundenkilometern in dessen Mond Didymoon stürzen soll. 

Esa-Generalsekretär Jan Wörner vergleicht das Vorhaben mit einer Partie Billard. Ähnlich wie bei dem Spiel soll der Mond von seiner Bahn abgelenkt werden. Da ein Asteroid aber „nicht so schön rund wie eine Billardkugel“ sei, könne man „schwer vorhersagen, was wirklich passiert“, verdeutlicht Wörner. 

„Wenn sich zwei Asteroiden umkreisen, und ich schieße einen Satelliten auf den kleineren der beiden, dann verändere ich die Umlaufszeit der zwei Asteroiden“, erklärt Detlef Koschny aus der Esa-Abteilung für Sonnensystemmissionen. Der Aufprall muß Didymoon gar nicht stark aus seiner Umlaufbahn schubsen. Der kleinere Mond umrundet den größeren Asteroiden mit etwa 50 Zentimetern pro Sekunde. Ließe sich diese Geschwindigkeit um ein paar Millimeter pro Sekunde verändern, würde sich das summieren. 

„Das Objekt wäre schon bald an einem Ort auf seiner Umlaufbahn, an dem es nicht wäre, hätten wir es nicht angestoßen“, hofft Andrew Rivkin vom Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University im US-Bundesstaat Maryland. Die Sonde wird nicht von der Erde aus ferngesteuert werden, sondern muß ihr winziges Ziel selbständig finden. 

„Ein paar Stunden vor dem Auftreffen übergeben wir die Bodenkontrolle völlig an die Einschlagsonde“, führt Eugene Fahnestock vom kalifornischen Forschungszentrum Jet Propulsion Laboratory aus, das die Satelliten und Raumsonden der Nasa baut und steuert. Dann müsse sie alles Weitere alleine schaffen. „Wahrscheinlich werden wir bis wenige Sekunden vor dem Aufprall Bilder empfangen“, gibt sich der amerikanische Wissenschaftler optimistisch. 

Didymoon, der offiziell Didymos-B heißt, wäre damit der erste Himmelskörper, der durch eine menschliche Erfindung in seiner Laufbahn verändert wird. 

Zwar schlug 2005 schon einmal ein von der Nasa-Sonde Deep Impact abgeschossener Impaktor auf den Kometen Tempel 1 ein, jedoch war der Ablenk-Helfer mit einem Durchmesser von sechs Kilometern zu groß, um die Flugbahn des Tempel 1 zu verändern. Der Zusammenstoß diente vielmehr der Untersuchung des unter der Oberfläche freigesetzten Materials. 

Hera-Satellit soll Gefahren aus dem All abwehren

Die Gefahr, daß Didymoon, der eigentlich an der Erde vorbeiziehen soll, nun in Richtung des blauen Planeten gelenkt wird, hält Wörner für unwahrscheinlich: „Dafür ist die aufgebrachte Energie viel zu gering.“ 

Der Satellit trägt die Sonde Lycia mit sich, die sich kurz vor dem Zusammenprall lösen und diesen fotografieren soll. Anschließend wird sie dem Plan zufolge die Bilder zur Erde funken und dann weiterfliegen. Aufgrund der Entfernung von rund 150 Millionen Kilometern werden diese Fotos aber wahrscheinlich erst nach etwa einem Jahr bei den Wissenschaftlern ankommen und den Einschlagkrater zeigen. 

In einem zweiten Schritt soll der schreibtischgroße Esa-Satellit Hera, der nach der Gattin des Göttervaters Zeus benannt ist, 2024 zu dem binären Asteroidensystem fliegen. Der Weg dorthin würde rund zwei Jahre dauern und von Darmstadt aus gelenkt werden. Hera hat die Aufgabe, die Spät- beziehungsweise Langzeitfolgen des DART-Einschlags zu untersuchen. Dann wird sich klären, ob das Experiment geglückt ist oder weiterhin die Gefahr eines Asteroiden-Einschlags auf der Erde besteht. 

Erkenntnisse, ob die Mission erfolgreich war, sollen bis zum zweiten Schritt, dem Start des Satelliten, Teleskope von der Erde aus liefern. Das ist jedoch kein leichtes Unterfangen. Obwohl es sich um einen Doppelasteroiden handelt, erscheinen seine beiden Bestandteile auf der Erde nur als ein einziger Lichtpunkt. 

Zieht Didymoon vor dem Haupt-asteroiden vorbei und verdunkelt ihn leicht, beziehungsweise verschwindet er bei der Umrundung hinter Didymos, fällt die Helligkeit des gesamten Systems um eine Winzigkeit ab. Aus diesen Helligkeitsschwankungen können Astronomen die Umlaufbahn des kleineren Objekts berechnen – und damit nachweisen, ob sich seine Bahn gegenüber vor dem Einschlag verändert hat, so der österreichische Sender ORF in einem Sonderbericht. 

Ein früherer Start Heras würde wenig Sinn ergeben, da die wichtigsten Erkenntnisse erst mit genügend zeitlichem Abstand gewonnen werden können. Die Sonde Lycia wird, so die Hoffnung der Wissenschaftler, aber schon erste wichtige Ergebnisse liefern. 

Darüber hinaus soll der Esa-Satellit auf dem Weg zu Didymos sofern möglich weitere auf dem Weg kreuzende Himmelskörper untersuchen. Hera hat auch zehn würfelförmige Minisatelliten, sogenannte Cubesats, an Bord, von denen zwei auf Didymoon landen sollen. 

Ob dies gelingt, ist aber ungewiß. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit der Cubesats und einer mangelnden Gravitation des kleineren der beiden Asteroiden besteht die Gefahr, daß die Minisatelliten einfach abprallen und ins Weltall zurückkatapultiert werden.

 Sollte die Landung aber gelingen, hoffen die Wissenschaftler auf sehr wichtige Erkenntnisse über den Aufbau von Asteroiden. Auf das Experiment aufbauende Pläne zum Schutz der Erde sind bereits in Planung. „Die Gefahren aus dem All sind real“, mahnt Marco Fuchs, Chef des Satellitenbauers OHB System aus Bremen, gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. „Dort gibt es Millionen von Gesteinsbrocken, die im Falle einer Kollision das Leben auf der Erde auslöschen könnten.“ 

Das Unternehmen entwickelt die Raumsonde für die Hera-Mission. Esa-Direktor Rolf Densing betont: „Wenn der Test erfolgreich ist, sollten wir uns bereit machen für wirkliche Ablenkungsmanöver.“ Eine akute Gefahr sei derzeit aber nicht in Sicht. 

Einschläge könnten weltweit Verwüstungen anrichten

Allerdings haben US-Wissenschaftler mittlerweile mehr als 1.100 Asteroiden mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer entdeckt, die sich auf einer Umlaufbahn befinden, die sie der Erde gefährlich nahe bringen könnte. Besonders in wolkenlosen Neumondnächten kann man immer wieder sehen, wie Asteroiden und die deutlich kleineren Meteoriten in der Erdatmosphäre verglühen.

So richtete im Februar 2013 die Explosion eines zwanzig Meter großen Gesteinsbrockens in der russischen Millionenstadt Tscheljabinsk Verwüstungen an. Die Druckwelle verletzte rund 1.500 Menschen, zumeist durch zerborstene Scheiben, und sorgte für Schäden in Millionenhöhe. 

Nach der Ansicht von Nasa-Experten sollte die Flugbahn von Asteroiden einer Größe von 50 Metern oder mehr künftig unbedingt geändert oder diese wenn möglich frühzeitig zerstört werden. 

Ansonsten könne es bei einem Einschlag auf der Erde zu großen Katastrophen mit weltweiten Ausmaßen kommen, befürchten sie. Etwa durch eine die ganze Welt umspannende Wolke und die damit verbundene deutliche Abkühlung der Temperatur auf der Erde. 

Aufgrund seiner Größe von nur 160 Metern Durchmesser ist der Mond Didymoon den Angaben der Forscher zufolge für das Experiment ideal. Zudem benötigt er nur zwölf Stunden, um seinen größeren Zwillingsbruder zu umkreisen. 

„Eine solche Umlaufzeit kann in der Tat meßbar verändert werden“, betont der leitende Planetenwissenschaftler der Hera-Mission, Patrick Michel. Bei großen Himmelskörpern wie dem oben erwähnten Kometen Tempel 1 würde es nur einen Kratzer geben, weil die Aufschlagskräfte für eine Veränderung der Flugbahn viel zu gering seien. 

Das Gesamtbudget für das Projekt soll bei 250 Millionen Euro liegen. Die Bundesrepublik, die mit 22,9 Prozent größter Beitragszahler der Esa ist, übernimmt bei der Hera-Mission mit 60 Millionen Euro den Großteil der Kosten für die 129 Millionen Euro teure erste Programmphase und gleichzeitig auch die sogenannte Systemführung. 

Das amerikanische DART-Projekt soll auf acht Jahre verteilt rund 314 Millionen US-Dollar kosten. Laut den Wissenschaftlern ist dies aber gut angelegtes Geld. Ihrer Ansicht nach würde der Einschlag eines größeren Himmelskörpers zu einem deutlich größeren finanziellen Schaden führen, von der Zahl der Toten gar nicht erst zu sprechen.





European Space Agency

Die Esa ist ein europäisches Weltraumprogramm, bestehend aus 22 Mitgliedstaaten, das sich der Erforschung von Erde, Sonnensystem und Universum widmet. Ihr Hauptsitz ist in Paris. In Darmstadt befindet sich ihr Kontrollzentrum, das für den Betrieb sämtlicher Satelliten verantwortlich ist. Ein weiterer Stützpunkt liegt in Köln. Dort werden die Astronauten ausgebildet. Die Esa beginnt das neue Jahr mit einem Budget von 6,49 Milliarden Euro, 190 Millionen Euro weniger als 2020. Davon belaufen sich 67 Prozent auf die Beiträge der Mitgliedsstaaten. Rund 26 Prozent stammen von der EU. Weitere drei Prozent gehen auf die Europäische Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten zurück. Die restlichen vier Prozent zahlen private Partner. Zudem tritt ab März mit dem Österreicher Josef Aschbacher ein neuer Generaldirektor an die Spitze der Raumfahrtbehörde. Eine weitere Esa-Mission widmet sich der Erforschung des Mars. Die Planetensonde Mars Express umrundet den roten Planeten regelmäßig und liefert dabei zahlreiche Daten. (zit)  

 https://www.esa.int/