© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

CD-Kritik: Igor Levit
Haltungspianist
Jens Knorr

Igor Levit vertritt Regierungspolitik nicht allein in den sozialen Medien, sondern auch am Klavier. Insbesondere am Pedal. Gegen Ende des ersten Lockdowns hat Levit sein fünftes Album für das Label Sony eingespielt. „Encounter“ eröffnet mit Ferruccio Busonis Transkriptionen Bachscher und Brahmsscher Choralvorspiele, gefolgt von Max Regers Bearbeitung der für Gesang und Klavier komponierten „Vier ernsten Gesänge“ von Brahms und einer zeitgenössischen von Regers A-capella-Chorsatz „Nachtlied“, beschlossen von Morton Feldmans Klavierstück, „Palais de Mari“ von 1986. In dem solle sich der „Fluchtpunkt eines Albums“ offenbaren, „dessen Verlauf eine Art gestrecktes Diminuendo“ (A. Cybinsi) beschreibe.

Feldman widerruft die mitteleuropäische Tradition des Komponierens und Hörens geschriebener Musik. Weil er Meditation mit Rührseligkeit übersetzt, rutscht Levit das Stück in ebendiese Tradition hinein. Sein disparates Spiel eröffnet keine Räume für Stille und Eingedenken, weder für Begegnung, noch für Gefecht. Er kann in den Kompositionen immer nur sich selbst begegnen und ohne exzessiven Pedalgebrauch keine Note lang leben. Davon lebt aber keine Note länger. Der Steinway D singt nicht: er schnulzt.

Seine Befindlichkeiten während des regierungsverordneten Konzertverbots hätte Levit doch auch twittern können.

Igor Levit Encounter Sony Classical 2020  www.sonyclassical.de www.igor-levit.de