© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Dorn im Auge
Christian Dorn

Es ist Montag, der erste Tag, der mindestens das Tragen einer OP-Maske vorschreibt. Als ich aus der Tür trete, sage ich zu meinem Nachbarn, der im selben Augenblick das Haus verläßt: „Oh, ganz Deutschland ein OP-Saal.“ Er lacht, und ich denke wenig später an ein fiktives Stück Sketch-up. Der Doktor: „Schwester, bitte das Besteck.“ Darauf die Schwester: „Aber Herr Doktor, das ist doch Menschenfleisch!“ Jedenfalls provoziert mich die an den Berliner Bahnhöfen penetrant plakatierte Propaganda der Bundesregierung für die Impfkampagne zu folgendem Epigramm: „‘Deutschland krempelt die Ärmel hoch’ / Ja und? Der Junkie tut dit ooch.“ 


Noch irritierender aber wirkt die Inauguration Joe Bidens in Washington und die damit einhergehende Apotheose Amanda Gormans nach deren Gedichtvortrag „The Hill We Climb“ durch die deutschen Leitmedien, beispielhaft etwa im Deutschlandfunk und in der Süddeutschen Zeitung. Unversehens verarbeiten meine Gedanken dieses an Sowjetzeiten erinnernde Pathos zu einem „Realityrest“ in Form weiterer Ver(s)dichtung: „Epiphanischer Thrill / Above Capitol Hill.“ und „The hill that we climb / Ends cliffhanger mind.“ Oder anders: „‘The hill we climb’, so calls Amanda / In fact: the BLM agenda!“ sowie „First Amendment Gorman: ein / Gleißender Glorienschein.“ 


Auch für den präsenilen Präsidenten gibt es noch „a little bit“ Biden-Epigramm: „The president prays unity / For you to show conformity!“ oder „Congratulations and celebrations / Cancel culture free(ze)s all nations.“ Auch das Open-Border(line)-Syndrom fordert seinen Tribut: „‘We are one nation’ / Means: more immigration.“ Noch nicht ahnend, daß die neue US-Vizepräsidentin ein uneingeschränktes „Recht“ auf Abtreibung fordert und dies euphemistisch als „Gesundheitsdienst“ verklärt, erscheint der folgende Vers geradezu prophetisch: „Election delivered female killer / First coloured siren Harris, Kamala.“ Und schließlich, als nahezu militanter Kommunismus-Gegner: „We have to yell ‘Racism’ / Implementing socialism.“ Besser wäre natürlich gleich der Kommunismus, „denn jeder versteht ihn. Er ist leicht.“ So das „Lob des Kommunismus“ von Bertolt Brecht, nach dem die EOS benannt war, in der ich 1989 das Abitur ablegte. Die Sentenz am Schluß dieses Lehrgedichts („Er ist das Einfache / Das schwer zu machen ist.“) wurde vom angeblichen Subjekt, der Arbeiterklasse, dialektisch gewendet, also vom Kopf auf die Füße gestellt, denn: Er ist das Schwere, das einfach nicht zu machen ist.