© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Auf der Suche nach einem neuen Bismarck
Reformer von oben
(ob)

Der Historiker Achim Engelberg erkennt in der „doppelten Einheit“ von 1871 und 1990 verblüffende Parallelen. So habe sich Bismarck schon ein Jahr nach dem Versailler Gründungsakt wieder mit der sozialen Frage konfrontiert gesehen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2021). Und zwar in Gestalt der auch seit 1990 virulenten Wohnungsfrage. Die Wohnungsnot in Berlin und anderen Großstädten, kommentierte Friedrich Engels aus dem Londoner Exil, mache deshalb soviel von sich reden, weil sie nicht mehr auf die Arbeiterklasse beschränkt blieb, sondern auch das Kleinbürgertum schwer treffe. 120 Jahre später habe sich die Wiedervereinigung sogar vor dem Hintergrund der potenzierten sozialen Frage vollzogen. Dafür stehe zunächst die Schocktherapie in der Ex-DDR, wo die Industrieproduktion fast über Nacht um 27 Prozent einbrach. Aber überall in Europa wuchsen zugleich Armut und große Vermögen. Die EU und damit auch Deutschland seien durch die im Einheitsprozeß geschaffenen „neoliberalen Grundlagen der Politik“ inzwischen „in Lebensgefahr“. Als neuen „Reformer von oben“, der ähnlich wie Bismarck das kapitalistische System nicht ändern, aber verbessern könnte, bevor der Kessel platze, empfiehlt Engelberg ausgerechnet Klaus Schwab, den Gründer des Davoser Wirtschaftsforums. 


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