© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Reformer statt Revolutionär
Aversion gegen alles Utopische: Der SPD-Vorsitzende und erste Reichspräsident Friedrich Ebert wurde am 4. Februar 1871 geboren
Karlheinz Weißmann

Am 11. Februar 1989 erschien der traditionsreiche Vorwärts mit düsterem Konterfei auf dem Umschlag, dazu der Titel „Historikerstreit um Friedrich Ebert“. Ein paar unentwegte vom linken Flügel der SPD nutzten die Gelegenheit, die Legenden vom „Arbeiterverräter“ oder „Stalin des deutschen Proletariats“ aufzuwärmen. Aber auch die Verteidigung Eberts fiel zögerlich aus. Es war nicht in Mode, einen Mann zu feiern, den man der Parteirechten zuzählte und der wenig übrig hatte für jene Flausen, auf die die progressive Intelligenz seit 1968 im Namen von „direkter“ oder „partizipativer“ oder „Rätedemokratie“ zurückzukommen wünschte.

Eberts Aversion gegen alles Utopische hatte damit zu tun, daß er „Revisionist“ war. So bezeichnete man am Ende des 19. Jahrhunderts jene Sozialdemokraten, die es ablehnten, die Lehre von Marx und Engels dogmatisch zu nehmen und alle Kräfte auf den totalen Umsturz des Kapitalismus zu konzentrieren. Eine Vorstellung, die Ebert schon deshalb fremd war, weil er aus der Gewerkschaftsbewegung kam, die sich in erster Linie auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Arbeitern, kleinen Handwerkern und Angestellten konzentrierte. 

Am 4. Februar 1871 in Heidelberg geboren, lernte er nach der Schule in einer Sattlerei und trat, gerade achtzehnjährig, dem Berufsverband und der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), dem Vorläufer der SPD, bei. Danach verlagerte sich Eberts Tätigkeit rasch weg vom Beruf hin zum Einsatz für die Partei als Agitator und Funktionär. Ab 1894 übernahm er den Vorsitz der sozialistischen Fraktion in der Bremer Bürgerschaft, kurze Zeit später einen hauptamtlichen Posten der gerade formierten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD).

Eberts Hauptaugenmerk lag von Anfang an auf praktischen Erfordernissen der Sozialpolitik, und zum Erreichen seiner Ziele war er durchaus bereit, mit Bürgerlichen zusammenzugehen. Was er als „Diagonale der Kräfte“ bezeichnete, stieß allerdings bei vielen SPD-Kadern auf Ablehnung. Trotzdem wurde er 1905 zum Sekretär des Vorstandes der Gesamtpartei gewählt. Die neu gewonnene Stellung nutzte Ebert, um die rasch wachsende SPD straffer zu organisieren. Bei der Reichstagswahl von 1912, die die SPD zur stärksten Kraft werden ließ, gewann er  ein Mandat im nationalen Parlament. Er stieg in den Fraktionsvorstand auf und wurde im nächsten Jahr, nach dem Tod des Parteigründers August Bebel, zum Parteivorsitzenden gewählt.

Da die SPD eine Doppelspitze hatte, mußte sich Ebert diese Position mit Hugo Haase als Repräsentanten der Parteilinken teilen. Deren Einfluß schien allerdings in dem Maß zu schwinden, in dem die Sozialdemokratie stärker wurde. Für die Mehrheit ihrer Anhänger war der Sozialismus eher ein Fernziel, das man schrittweise erreichen wollte, nicht mit Hilfe von Barrikadenkampf und Blutvergießen. Der Umwandlung der SPD in eine Reformpartei entsprach die Tendenz zur Integration in die wilhelminische Gesellschaft. Die Sozialdemokratie verließ nach und nach das Ghetto der „Reichsfeindlichkeit“. Ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten im August 1914 wie die Unterstützung der Politik des „Burgfriedens“ lagen in der Logik dieser von Ebert geförderten Entwicklung.

Tatsächlich hatte der Widerstand der „Antirevisionisten“ gegen seinen Kurs zu Beginn des Ersten Weltkriegs keinen Rückhalt in der Partei. Die Parole „Burgkrieg nicht Burgfrieden“ (Karl Liebknecht) fand erst Gehör, als sich die militärische Lage des Reiches verschlechterte und die Not der Bevölkerung wuchs. Hinzu kam der Eindruck, den die Oktoberrevolution in Rußland machte. Die Parteiführung um Ebert betrachtete sie als abschreckendes Beispiel, die radikale Linke als Handlungsmuster. 

Trotzdem suchte Ebert die Einheit der Partei durch Konzessionen – etwa bei der Unterstützung der großen Streiks im Frühjahr 1918 – zu erhalten, mußte aber zuvor, im April 1917, die Abspaltung einer Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) von der Mutterpartei hinnehmen. Die bezeichnete sich nun als Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands (MSPD) und suchte die bisherige Linie fortzusetzen. Deren Richtigkeit schien für den Moment glänzend bestätigt, als am Ende des Weltkriegs etwas möglich wurde, was bei seinem Beginn undenkbar schien: der Sozialdemokrat Ebert erhielt den Auftrag zur Regierungsbildung.

Seine Ernennung bildete jene „Brücke der Legalität“ (Ernst-Wolfgang Böckenförde), über die der Weg von der alten zu einer neuen Ordnung führen sollte. Dabei wünschte Ebert die Monarchie zu erhalten. Aber die Revolution des November 1918 erlaubte keine Evolution. Stattdessen sah sich Ebert genötigt, einen „Rat der Volksbeauftragten“ aus Vertretern von MSPD und USPD zu bilden. Dabei war ihm bewußt, daß es sich um eine Allianz auf Zeit handelte. Sie hielt nur wenige Wochen. Hauptursache waren die dauernden Unruhen in Berlin wie den anderen großen Städten des Reiches, die Eberts Sorge bestätigten, es könne zu einem „deutschen Oktober“ kommen. Gleichzeitig fürchtete er den Bruch des mit den Alliierten geschlossenen Waffenstillstands, deren Einmarsch und das Zerbrechen der Reichseinheit. Angesichts der doppelten Bedrohung schloß Ebert ein Bündnis mit der Führung des alten Heeres und ließ Wahlen zu einer Nationalversammlung vorbereiten.

Ebert regierte häufig mit dem Notstandsartikel 48

Die trat bereits im Februar 1919 zusammen und machte sich daran, die Verfassung einer demokratischen Republik auszuarbeiten. Daß die nicht sozialistisch sein werde, hat Ebert gewußt, das aber in Kauf genommen, da er keinen anderen Weg sah, den Bestand des Reiches zu sichern. Die Behauptung, es habe ihm an „ausgesprochener Willenskraft“ (Wilhelm Mommsen) gefehlt, führt deshalb in die Irre. Denn Ebert hatte eine genaue Vorstellung von politischen Prioritäten. Die erklärt auch, warum er nach seiner Wahl zum Reichspräsidenten mit gleicher Entschlossenheit gegen die äußerste Linke wie gegen die äußerste Rechte schlagen ließ, wenn sie die Ordnung in Frage zu stellen drohten. Wesentlich häufiger als sein Nachfolger Paul von Hindenburg wandte Ebert den „Diktaturartikel“ 48 der Weimarer Verfassung an. Gedankt hat man ihm das so wenig wie seine besonnene Amtsführung. Noch kurz vor seinem Tod – Ebert starb schon am 28. Februar 1925 – sah er sich massiven Angriffen nicht nur des politischen Gegners, sondern auch seiner eigenen Partei ausgesetzt, in der es sogar Gliederungen gab, die seinen Ausschluß forderten. Wenige jedenfalls haben in ihm den gesehen, den der Schriftsteller Gerhart Hauptmann in ihm sah: einen „großen Staatsmann“ und „Retter Deutschlands in schwerster Not“.