© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 05/21 / 29. Januar 2021

Kabinenklatsch
Die Hoffnung überwiegt
Ronald Berthold

Ehrlich zugegeben, ich kann jeden verstehen, der über Hertha-Niederlagen jubelt. Mir ging es mit dem einst großkotzigen, neureichen HSV genauso. Und in dieser Saison habe ich hier immer wieder einen Eimer Häme über die Schalker ausgegossen, die ebenfalls beweisen, nicht mit Geld umgehen zu können und der Zweiten Liga entgegentaumeln.

Als Romantiker freue ich mich, wenn es selten genug doch heißt: Geld schießt keine Tore. Aber bei Hertha? Tut mir leid, kann ich nicht. Seit 1978 schlafe ich in blau-weißer Bettwäsche, habe in der Zeit mehr getrauert als triumphiert. Die Zeiten, in denen das ganze Wochenende gelaufen war, wenn mein Klub verliert, sind aber vorbei.

Identifikation ist verlorengegangen, aber das reicht nicht, damit ich Schadenfreude empfinde. Trotzdem muß jetzt mal eine Abreibung her. Wer dreistellige Millionenbeträge eines Investors in neue Spieler steckt und trotzdem nix auf die Reihe kriegt, hat verbale Kloppe verdient.

Vielleicht findet der Verein mit diesem Trio die Balance aus Tradition und „Big City Club“.

In Herthas Kader stehen 15 Ausländer zehn unterschiedlicher Nationalitäten. Nach all den Niederlagen habe ich mich gefragt, ob der Trainer überhaupt etwas dafür kann. Ist diese Mannschaft vielleicht sogar untrainierbar? Wie sollte sich Labbadia bei all den angeblich hochtalentierten, aber vor allem überbezahlten Söldnern verständlich machen? Gut, Schnee von gestern. Der Coach ist gefeuert, Manager Preetz auch. Letzteres war überfällig. Wer soviel Geld zum Fenster rauswirft, ist unfähig. Punkt.

Nun übernehmen Urgestein Andreas „Zecke“ Neuendorf und erneut Rekordspieler Pal Dardai auf der Bank – nicht als Übergangslösung, sondern für die nächsten anderthalb Jahre. Und für Preetz rückt Arne Friedrich auf, der es als Herthaner zu 82 Länderspielen brachte. Vielleicht findet der Verein mit diesem Trio, das insgesamt 666mal für den Klub kickte, die Balance aus Tradition und „Big City Club“ – wie ich mich für diese ganze auch noch englische Wortwichse schäme. Aber die Hoffnung überwiegt, wieder einmal. Das Gefühl kenne ich gut aus inzwischen 43 Jahren.