© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Paul Bristow repräsentiert einen Trend in der Konservativen Partei Großbritanniens.
Ein neuer Typ Tory
Michael Walker

Er steht stellvertretend für einen neuen Typ von Abgeordneten der Konservativen im nun unabhängigen Großbritannien, dessen Zahl unter den Torys zunimmt: Es ist die Art, wie der 41jährige Paul Bristow aus dem ostenglischen Peterborough seinen Konservatismus nicht mehr national, sondern an „Hearth and home“ (Herd und Heim) orientiert – eine Formel, die auf der Insel für Bodenständigkeit und Heimattreue steht. Schon in seiner nur siebenminütigen Jungfernrede vor dem Unterhaus hatte Bristow sage und schreibe sechzehnmal seine Heimatstadt erwähnt, lobte namentlich seine drei Vorgänger im Wahlkreis für ihren Einsatz für  Peterborough, erwähnte aber seinen Parteichef Boris Johnson kein einziges Mal. 

Obwohl studierter Politologe, stammt der Familienvater aus der Arbeiterklasse – sein Großvater war Bergarbeiter –, gibt sich gemeindeorientiert, ja provinziell, kein Weltenbummler, konservativ in sozialen Fragen, aber nicht thatcheristisch. Bristow ist die Art Tory-Kandidat, den die Partei braucht, um verärgerte Labour-Wähler zu gewinnen, besonders jetzt, die  Arbeitspartei mit 39 Prozent in den Umfragen den Konservativen dicht im Genick sitzt und Premier Johnsons Beliebtheit unter fünfzig Prozent gesunken ist – trotz dessen triumphalen Wahlsiegs 2019, dem besten Tory-Ergebnis seit Margaret Thatcher. Schon diesen Erdrutschsieg verdankte man maßgeblich auch Kandidaten der Sorte Bristow, die in Nordengland den „roten Wall“ aus Labour-beherrschten Wahlkreisen sprengten. Möglich war das  natürlich auch wegen der Verärgerung vieler Wähler über Labours Zaudern in Sachen Brexit. Damit verbunden ist aber ebenso, daß sich immer mehr von ihnen dem entfremdet fühlen, was sie als eine ideologisch-akademische, sprich von ihrem Leben distanzierte Klasse der politischen Linken ansehen. Doch ihr Mißtrauen gegenüber deren Begeisterung für die EU geht Hand in Hand mit einem Mißtrauen gegenüber London, als ebenfalls ihrer Realität entfernter Zentralgewalt. Der Schlachtruf „Let’s get Brexit done!“ (Laßt uns den Brexit vollenden) war für viele nicht nur ein Aufstand gegen Brüssel, sondern auch für ihre Provinz.

Die neuen Abgeordneten vom Schlage Bristows sind sich daher bewußt, daß sie auf Bewährung sind. So wollen sie den Wählern zeigen, daß sie sich auf den „Dienst an der Gemeinschaft“ konzentrieren. Bristow ist bestrebt, jedem in Peterborough die Hand zu reichen – aus Empathie und aus Liebe zu seiner Stadt, sagen seine Anhänger, aus Kalkül, sagen seine Gegner. Wahrscheinlich haben beide recht. Inzwischen gewinnt Bristow auch islamische Unterstützer, da er während des Ramadan einige Tage mitfastet, um „meine moslemischen Wähler besser zu verstehen“. Zum Konzept seines lokalen gehört also auch ein multiethnischer Konservatismus, der zunehmend die Loyalität dieser Art Parlamentarier gegenüber der Parteimaschine untergräbt.