© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Besser mit Brieftauben?
Paul Rosen

Heimarbeit ist gerade weit verbreitet, um Infektionsrisiken zu reduzieren. Da ein Computer mit Internetanschluß inzwischen zur Grundausstattung fast jedes Haushalts gehört, kann  – zumindest in der Theorie – nahezu jeder Besitzer eines solchen Geräts per Videokonferenz Kontakt mit anderen aufnehmen. 

Die Digitalisierung war schon vor Corona ein zentrales Thema der Politik. Fünf Milliarden Euro ließ sich die Bundesregierung seit 2018 einen „Digitalpakt Schule“ kosten. Ziel war es, daß Lernen am Laptop in den Schulen und daheim zur Regel wird, da in vielen Klassenräumen noch Tafel, Kreide und Schwamm zur Grundausstattung gehören. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte kühn: „Wir wollen wieder überall Weltklasse sein.“ Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Quantencomputing fördern. Auf einem Digitalgipfel des Wirtschaftsministeriums im Dezember vergangenen Jahres wurden die tollsten Szenerien entwickelt: So sollen „Gebäude unter Einsatz intelligent vernetzter Lösungen zu smarten, integrativen und ressourcenschonenden Quartieren werden“.

Die Realität sieht allerdings ganz anders aus. Unter den 20 am stärksten industrialisierten Ländern gehört Deutschland zusammen mit Italien und Indien zu den Schlußlichtern beim Vergleich der Fortschritte bei der Digitalisierung. Da wundert es kaum noch, daß im Berliner Regierungsviertel vielfach Funkstille statt digitalem Konferenzbetrieb herrscht. So sind die technischen Systeme im Bundestag seit Inbetriebnahme der Berliner Neubauten nach dem Umzug von Bonn 1999 kaum noch modernisiert worden. Die alte Bundestagstechnik trifft auf moderne Laptops und Software fast ausschließlich aus den USA.

Das Zusammenspiel funktioniert – gelinde gesagt – holprig, wie Erfahrungen aus den jüngsten Ausschußsitzungen im Bundestag zeigen. So wird im Parlament nur die Videokonferenztechnik von Webex des amerikanischen Herstellers Cisco genutzt. Die Nutzung anderer Programme wie Zoom, Microsoft-Teams und „GoToMeeting“ ist im Bundestag nicht zugelassen – man fürchtet das Eindringen von Spionen, die mitlauschen könnten. Die Spione würden aber auch bei Webex ihre Schwierigkeiten haben: Konferenzteilnehmer seien kaum zu verstehen, berichteten Mitarbeiter von Bundestagsausschüssen in einer internen Abfrage. „Trotz LAN-Verbindung war eine Durchführung der Sitzung per Webex aufgrund schlechter Internetverbindung nicht möglich, mußte abgebrochen und als Telefonkonferenz fortgesetzt werden“, schrieb etwa der Bundestags-Sportausschuß in einer internen Mitteilung.

Geheimschutz bei Webex gibt es auch nicht, so daß sich der Verteidigungsausschuß angesichts der „unzureichenden technischen Ausstattung“ außerstande sieht, Videokonferenzen abzuhalten. Genauso ist es im Auswärtigen Ausschuß, wo keine Videokonferenz angeboten wird und der Saal nach wie vor brechend voll ist, während anderswo Abstandsgebote eingehalten werden müssen. Der Bundestag ist in der digitalen Welt noch nicht angekommen.