© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Little Wirecard im Burgenland
Österreich: Die Pleite der Commerzialbank Mattersburg wird aufgearbeitet / Ein Sportwetten-Zocker im Verhör des Untersuchungsausschusses des Landtags
Martin Krüger

Seit Oktober versucht ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuß unter Vorsitz des AfD-Bundestagsabgeordneten Kay Gottschalk das unglaubliche Aufsichtsversagen in Fall des einstigen Dax-Konzerns Wirecard (JF 4/20) zu klären. Dabei geht es um einen Milliardenbetrug, der mit der „organisatorischen Reform“ der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) – sprich: dem überfälligen Rauswurf von Bafin-Präsident Felix Hufeld und seiner Stellvertreterin Elisabeth Roegele durch Finanzminister Olaf Scholz – längst nicht abgeschlossen ist.

In Österreich geht es zwar „nur“ um einen dreistelligen Millionenverlust, aber das betroffene Burgenland ist 90mal kleiner als Deutschland und hat nur soviel Einwohner wie Augsburg. Daher ist die von der Boulevard-Presse verwendete Bezeichnung „Little Wirecard“ für die Pleite der Commerzialbank Mattersburg (Cb) eigentlich eine Untertreibung. Am 15. Juli 2020 erfolgte die Zwangsschließung des 1995 gegründeten Geldinstituts; seit 30. September versucht ein Untersuchungsausschuß des Landtages, das politisch-finanzielle Gestrüpp zu entwirren.

Schillernde Glücksritter und Millionen für Fußballverein

Im Februar soll nun der nach Schlaganfällen für verhandlungsfähig erklärte frühere Cb-Chef Martin Pucher vor dem U-Ausschuß aussagen. Ob der 64jährige mehr verrät, als in den bisherigen elf Ausschußsitzungen herausgekommen ist? Finanzminister Gernot Blümel und sein Amtsvorgänger Hans Jörg Schelling (beide ÖVP) erklärten sich für nicht zuständig. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) räumte zumindest ein, daß die Bankenaufsicht versagt habe.

Daß der frühere Wirecard-Chef Markus Braun, sein flüchtiger Vorstandskollege Jan Maršálek oder Aufsichtsratsvize Stefan Klestil – Sohn des einstigen Bundespräsidenten Thomas Klestil (ÖVP) – ebenfalls Österreicher sind, mag Zufall sein. Aber deutsch-österreichische „Joint Ventures“ wären nichts Neues: Das Kärntner Hypo-Alpe-Adria-Debakel hatte Ausläufer bis zur BayernLB (JF 51/14). Auch bei der milliardenschweren Übernahmeschlacht Porsche gegen VW 2008/09 hatten entscheidende Beteiligte deutsche und österreichische Pässe.

Wie bei Wirecard ist unklar, wo das verschwundene Geld der Bank verblieben ist. Ex-Vorständin Franziska Klikovits erklärte im U-Ausschuß, daß wohl die Hälfte der Kredite, etwa 95 Prozent der Interbankveranlagungen sowie zehn Prozent der Kundeneinlagen getürkt gewesen seien. Eine persönliche Bereicherung bestreiten die Bankvorstände. Ein ehemaliger Aufsichtsrat gestand immerhin ein: „Eine Bilanz zu lesen, und das wird jeder andere wissen, ist nicht so einfach, wie man glaubt.“ Für alle Genannten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

Thema im U-Ausschuß soll auch Puchers Toto- und Lotto-Leidenschaft werden, denn er behauptet mit Fußballwetten Millionen gewonnen zu haben. Mit einem Sechser habe er einen Zehn-Millionen-Schilling-Gewinn gemacht. Das wären heute 727.000 Euro. Ermittler vermuten, daß Pucher unterm Strich eher Verluste von 1,8 bis 2,7 Millionen Euro erzockte. Zunächst habe Pucher mit einem Jugendfreund eine Spielergemeinschaft gebildet und sei einfach genial gewesen, heißt es. Auch mit seiner Ehefrau sei eine Tippgemeinschaft gebildet worden, die dann zur „gemeinsamen Familienaktivität“ werden sollte.

Cb-Geld habe er für seine Spieleinsätze nie verwendet. Und wenn, dann habe er es „gleich wieder zurückerstattet“, beteuerte Pucher. Gewinne wären zur Familienabsicherung ausbezahlt worden, anderes in Immobilien und Aktien seiner Bank investiert worden. Ein Teil sei auch in der Schweiz angelegt worden, von deren renommiertem Bankwesen er als „sehr junger Banker äußerst beeindruckt war“. All das klingt nach einer Provinzposse – doch die Insolvenzverwalter sprachen im Oktober von etwa 156 Millionen Euro, die in bar oder mit Scheck „aus der Bank getragen“ wurden.

Bereits 2015 hatte ein „Whistleblower“ darauf hingewiesen. Er meldete sich im elektronischen Hinweisgeberpostfach der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA), um „sicherzustellen, daß der Millionenbetrug dort nachvollzogen werden kann“. Das schrieb er unter Verweis auf eine laufende Vor-Ort-Prüfung durch die Österreichische Nationalbank. Die Justiz leitete kein Verfahren ein, obwohl die OeNB-Prüfer immerhin festhielten, daß die Cb Konten einseitig anlegen könnte.

Ohne „Whistleblower“ wäre es wohl so weitergegangen

Der Hinweisgeber hatte von „Fake-Konten“ berichtet, die auf Namen vermögender Personen gelautet hätten und ohne deren Wissen geführt würden. Auch wüßten sie nicht, daß diese „heillos mit sechs- oder siebenstelligen Beträgen überzogen“ seien. Auf die Frage, was es mit jenen mehreren 100.000 Euro auf sich habe, die sich der Cb-Chef ins Büro habe anliefern lassen, soll der Informant behaupet haben: „Herr Pucher braucht keinen Vorwand, um sich dieses Geld schicken zu lassen. Er ist der Chef, und in der Bank wird das gemacht, was er sagt – bedingungslos.“

Doch erst eine weitere WKStA-Meldung brachte Bewegung in die Sache. Mitten in eine neue Cb-Prüfung hinein stellte diese Einzelheiten dar und zeigte sogar Abbildungen von Kreditakten. Die Prüfer wurden diesmal bei den Zinsen stutzig. Offenbar hatte man sich als kleine Regionalbank während der EZB-Minuszinszeit mit Guthabenzinsen von einem Prozent Großkunden gewogen gehalten. Die dazu fehlenden Einlagen fielen zunächst anscheinend nicht auf, weil man sich auf die Saldenbestätigungen der privaten Wirtschaftsprüfer verlassen hätte – das erinnert wirklich an Wirecard.

„Das Böse ist immer und überall“, erklärte OeNB-Gouverneur Robert Holzmann in der Kronen Zeitung. Seit Jahrzehnten sei dort ein kriminelles „internes Pyramidenspiel“ gelaufen. Einer der Hauptprofiteure war wohl auch der von Pucher geleitete Fußballverein SV Mattersburg, der einige Jahre in der österreichischen Bundesliga spielte. Und anders als bei den Wirecard-Aktionären muß wohl die österreichische Einlagensicherung für einen Großteil der „verschwundenen“ 488 Millionen Euro an Bankguthaben einspringen.

Gleichwohl zeichnet sich auch im Burgenland-Krimi ein wohlbekanntes Schema ab: Intransparenz, gepaart mit einer Führungsperson, der kaum Fragen gestellt werden, und die auch keine zuläßt, sowie das Ausschalten interner Kontrollmechanismen sind der Weg in den wirtschaftlichen Ruin. Das Ganze wird gern garniert mit glanzvollen Scheinerfolgen. Und Branchen mit viel Geld ziehen oft auch die falschen Menschen an – in Deutschland, Österreich und auch anderswo.

 ebanking.commerzialbank.at

 vereine.oefb.at

 www.wirecard.com