© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Corona stellt Weichen in Richtung einer Art Ameisenstaat
Arbeit und Ausbeutung 4.0
(ob)

Menschliche Vollkommenheit und technische Perfektion sind nicht zu vereinbaren. Wir müssen, wenn wir die eine wollen, die andere zum Opfer bringen“, philosophierte einst Ernst Jünger über den Preis des „Fortschritts“. Wohin die Entwicklung führt, stand für den ähnlich kulturpessimistisch gestimmten Arnold Gehlen daher außer Frage: „Zu einer uns noch nicht vorstellbaren Form der Erdregierung und Erdverwaltung.“ 60 Jahre später, so sinniert der Soziologe Mathias Greffrath über die „Ausbeutung 4.0“ und die „Digitalisierung des Menschen“, zeichne sich hingegen in scharfen Konturen ab, was „Großdenkern unserer Großväter-Generation“, den rechten wie Jünger und Gehlen ebenso wie den linken wie Günther Andres und Herbert Marcuse, noch unvorstellbar gewesen sei. Weil die Corona-Pandemie den ökonomischen Infrastruktur-Großmächten, Microsoft, Apple, Google, Facebook, Amazon, nicht nur gigantische Profite beschert, sondern ihre logistischen Serviceleistungen einer breiten Masse erstmals einen Vorgeschmack darauf vermittelten, wie sich eine Gesellschaft nach den Regeln von „Industrie 4.0 und Arbeit 4.0“ gestalten werde. Es gelte Abschied zu nehmen vom humanistischen Ideal des allseits gebildeten Individuums und von dessen politischem Organisationsmodell, der pluralistischen Parteiendemokratie, da „eine Art Ameisenstaat sich am Horizont“ abzeichne. Der linke Soziologe Greffrath sieht jedoch einen Ausweg: Europäische Gewerkschaftsmacht könnte statt in die planetarische „Große Transformation“ der US-Tech-Giganten in eine humane „Digitale Wende“ mit „befreiender Technik“ führen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 1/2021). 


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