© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Als ich Mitte der 1980er Jahre meine Ausbildung im Polizeiverwaltungsdienst vorzeitig beenden konnte, durfte ich mir ein Buchpräsent wünschen. Ich wählte George Orwells „1984“, und so erhielt ich im Oktober ebendieses Jahres eine mit eingedruckter Widmung des Polizeipräsidenten versehene Neuausgabe aus dem Ullstein-Verlag, übersetzt von Michael Walter. Seither lese ich immer wieder mal in diesem zeitlosen Klassiker, insbesondere in den „Grundlagen des Neusprech“, die den drei Handlungsteilen als Anhang nachgestellt sind. Darin werden die verschiedenen Vokabularien erläutert, darunter das B-Vokabular: Es besteht aus Wörtern, die ganz bewußt zu politischen Zwecken gebildet worden und dazu bestimmt waren, dem Benutzer eine „wünschenswerte Geisteshaltung zu oktroyieren“. Begriffe aus dieser Kategorie sind stets ideologisch aufgeladen. Viele  sind Euphemismen und bedeuteten das Gegenteil dessen, was sie zu meinen schienen. – Ein Schelm, wer dabei an heutige Zustände denkt, wo Apologeten der Politischen Korrektheit Begriffe ausradieren und durch neue ersetzen, um das Bewußtsein zu verändern. Es lohnt also, sich dieser beständigen Orwell-Lektüre zu widmen. Dafür gibt es jetzt zwei Neuübersetzungen, erschienen bei Anaconda (München) und im Nikol-Verlag (Hamburg). Beide fallen durch ihre ähnlich plakativen, marktschreierischen Titelgestaltungen auf, während die Übersetzungen Geschmackssache sind.


Lesefundstück auf dem Blog denken-erwünscht.com des Medienunternehemers, Publizisten und Netzwerkers Klaus Kelle. Am 1. Februar schreibt er dort zu den Reaktionen auf Äußerungen der Schauspielerin Janine Kunze in der WDR-Talkshow „Die letzte Instanz“ (siehe die Meldung auf Seite 16 dieser JF-Ausgabe): „Wer in Deutschland nicht für die Abschaffung eines Begriffes wie Zigeunerschnitzel ist, der gefährdet seine berufliche Existenz. So einfach ist das. (…) Diese Gesellschaft wird nicht an Corona zugrunde gehen, sondern an der grassierenden Doofheit eines ideologisch aufgeheizten Teils der Gesellschaft.“


Ebenfalls ganz frisch in neuer Übersetzung im Nikol-Verlag erschienen ist George Orwells auch und gerade heute erkenntnisfördernd zu lesende Parabel „Farm der Tiere“. Das Entstehen einer neuen Tyrannei endet mit den Schlußsätzen: „Die Tiere draußen schauten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein und wieder von Schwein zu Mensch; aber es war bereits unmöglich zu sagen, wer wer war.“