© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 06/21 / 05. Februar 2021

Am Machtwort der Amerikaner gescheitert
Im Frühjahr 1946 gab es Bestrebungen im Elsaß, die deutsche Grenze nach Norden in die Pfalz zu verlegen
Hans-Jürgen Wünschel

Monsieur le Maire Schumacher eröffnet die Sitzung um 18 Uhr 25 und gibt die Tagesordnung bekannt: Wunschanträge betr. Wiederherstellung der Grenzen des Departement du Bas Rhin, im Norden des Elsasses, welche durch den Pariser Friedensvertrag vom 18.4.1815 abgeändert wurden.“ Die in deutscher Sprache im Protokollbuch der an der Grenze zur Pfalz liegenden elsässischen Stadt Wissembourg handschriftlichen Seiten des Secretaire G. Weber vermitteln ein eindrucksvolles Bild über das Geschichtsbewußtsein des Rates, der am besagten Freitag, den 8. Februar 1946 zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentraf, um ein jahrzehntealtes Problem zu debattieren. 

Im Frieden von Lunéville (1801) mußte das Reich zugunsten Frankreichs auf das gesamte linke Rheinufer verzichten. Befreit von  Zollschranken begann nun für Wissembourg eine wirtschaftliche Blütezeit. Nach dem Sturz Napoleons bestimmte der zweite Pariser Frieden (1815), daß die südlicher fließende Lauter wie vormals die Grenze zwischen der bayerischen Pfalz und dem Elsaß bildet. Damit wurde erneut der Handel mit den südpfälzischen Städten Landau und Speyer unterbrochen. 

Erst nach der Angliederung des Elsaß an das Deutsche Reich 1871 erlebte Weißenburg eine zweite wirtschaftliche Blütezeit, die 1919 durch die Abtrennung des „Reichslandes“ wieder in Frage gestellt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg schnitt in der Stadtratssitzung am 25. Januar 1946 der Stadtverordnete Bayer das Thema der erneuten Verlegung der deutsch-französischen Grenze an. Bürgermeister Schumacher besuchte deshalb Anfang Februar Landau, um mit Bürgermeister Wolff über den Vorschlag einer Grenzänderung zu sprechen: „Wissembourg sucht mit Hilfe der französischen Regierung zu erreichen, daß die Nordgrenze des Elsaß bis zur Queich-Linie verlegt werde.“ 

Einstimmig nahm am 8. Februar 1946 der Stadtrat von Wissembourg den Antrag an und leitete ihn dem Conseil Général du Bas Rhin zu. Dieser beschloß, ihn der Pariser Regierung zu unterbreiten. Dort schenkte man ihm auf Intervention der USA, die nach dem Saargebiet keine weitere Abtretung an der deutschen Westgrenze duldeten, Beachtung, was Schumacher am 27. September 1946 dem Stadtrat mitteilte. Dieser forderte jetzt die Abtretung eines sieben Quadratkilometer großen Waldstücks, in dem „die Quellen für die Wasserversorgung Wissembourgs liegen“. Diesem Wunsch entsprach General Koenig, Chef des französischen Oberkommandos, mit der Verordnung Nr. 212 vom 23. April 1949. Den Mundatwald völkerrechtsgültig an Frankreich abzutreten, lehnte der Bundestag 1962 ab. Er blieb Gebiet des Deutschen Reiches, das seit 1945 von Frankreich besetzt war. Über dieses Kuriosum erschienen seitdem zahlreiche  völkerrechtliche Arbeiten. Erst 1984 hob Frankreich die Verordnung Nr. 212 auf. Seitdem ist der Mundatwald uneingeschränkt Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, das Frankreich aber vertraglich den ungehinderten Zugang zu den Quellen der Stadt Wissembourg gewähren muß.