© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Rhein gewaschen?
Katholische Kirche: Im Streit um den Kölner Kardinal Woelki geht es um mehr als den Umgang mit einem Mißbrauchsskandal
Gernot Facius

Geradezu gelöst, entspannt, gab sich zu Wochenbeginn der wegen einer „vertuschten“ Affäre in die Kritik geratene Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki.  Er wurde offenbar von der römischen Glaubenskongregation von dem Vorwurf entlastet, den Mißbrauchsfall des Düsseldorfer Priesters Johannes O. 2015 nach seinem Amtsantritt zwar zur Kenntnis genommen, aber eine kirchrechtliche Untersuchung und eine Meldung nach Rom unterlassen zu haben. Woelki begründet sein Verhalten stets mit der damals schon weit fortgeschrittenen Demenz des 2017 verstorbenen Übeltäters (Jahrgang 1927), in dessen Pfarrei er als junger Theologe erste seelsorgliche Erfahrungen gesammelt hatte. Pikant: 2012, als Woelki, mittlerweile Berliner Erzbischof, ins Kardinalskollegium aufgenommen wurde, durfte O. ihn nach Rom begleiten. 

„Es gibt hier keinen Ermessensspielraum“

Ein Jahr zuvor hatte ein Mann glaubhaft dargelegt, Ende der siebziger Jahre als Kindergartenkind von dem Priester sexuell mißbraucht worden zu sein. Dem Opfer wurde eine Entschädigung von 15.000 Euro zugesprochen; der Höchstbetrag in vergleichbaren Fällen lag seinerzeit bei 5.000 Euro. Der Kardinal hatte den Vatikan selbst um Prüfung seines Verhaltens in der Affäre O. gebeten. Die zuständige Kurieninstanz attestierte ihm, mit der unterlassenen Meldung nicht gegen 2015 geltendes Recht verstoßen zu haben. Die strenge Meldepflicht, wie sie seit 2020 vorgeschrieben ist, habe damals noch nicht gegolten. Ob es „klug war“, den Fall nicht anzuzeigen, sei „allerdings eine andere Frage“. 

Mit der für Woelki vorerst vorteilhaften römischen Einlassung wollen sich freilich prominente Kirchenrechtler wie Thomas Schüller nicht abfinden. Schüller sprach im Kölner Stadtanzeiger von „Willkür“. 2010 habe der damalige Papst Benedikt XVI. eine „kategorische Pflicht“ für Bischöfe verkündet, jeden Mißbrauchsfall nach Rom zu melden.  „Es gibt hier keinen Ermessensspielraum.“ Jetzt ist die vatikanische Bischofskongregation gefordert. Wann sie ihre Entscheidung bekanntgibt und ob es darin nur um den Fall von 2015 geht oder um mehr, ist offen. „Möglich ist, daß der Vatikan erst noch die vom Erzbistum Köln angekündigte Veröffentlichung von Gutachten Mitte März abwarten will“, hieß es im Kölner Domradio. Am 18. März soll eine Expertise des Strafrechtlers Björn Gercke zu sexualisierter Gewalt und dem Umgang von Verantwortungsträgern mit Mißbrauchstätern vorgestellt werden. Gercke hat 236 Mißbrauchsfälle untersucht. 

Ein Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl, Spilker und Wastl wird von Woelki zurückgehalten, er führt dafür rechtliche Gründe an. „Der Kardinal ist in den Meinungsstreit zweier juristischer Lager eingespannt, wobei diese Experten wohl unterschätzen, wie verheerend in der Öffentlichkeit die Rede von einem Gutachten ist, das das Erzbischöfliche Ordinariat in der Schublade verschwinden ließ“, kommentierte die katholische Tagespost. Und bis zum 18. März kann noch viel passieren, am Tiber und am Rhein. 

Die innerkirchliche Großwetterlage in Deutschland ist stürmisch. Etwa 60 Geistliche der Erzdiözese haben zwei Briefe unterzeichnet, in denen der Umgang von Kardinal Woelki und Generalvikar Markus Hofmann mit dem Thema Mißbrauch kritisiert wird. „Wir fühlen uns der Kirche zutiefst verbunden, können uns aber nicht mit dem aktuellen Management der gegenwärtigen Vertrauenskrise identifizieren“, heißt es in einem der Schreiben. Die Kirche dürfe sich nicht „zur Sekte entwickeln“. 387 Priester im aktiven Dienst hat das Erzbistum Köln derzeit. Etwa ein Drittel davon stehe voll hinter der Kritik an Woelki, schätzt einer der Unterzeichner des Protestbriefs. 

„Der Erzbischof von Köln hat als moralische Instanz versagt und zeigt bis heute keine Haltung“, erklärte der Diözesanrat. Sein Vorsitzender, Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD), rief dazu auf, nicht auf Rom zu warten, sondern eine „Kölner Lösung“ zu finden. Anders der Kölner Katholikenausschuß. Er sieht „keinerlei Zeichen, wie die Bistumsleitung aus dieser Krise herauskommen will“. Es brauche unbedingt Hilfe von außen, damit die Schockstarre überwunden werden könne. Der Katholikenausschuß ist die Dachorganisation der Laien in Köln. Der von Woelki angerichtete Schaden breite sich „wie ein Krebsgeschwür“ aus, klagte die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB). Ihr Bundespräses Stefan Eirich zeigte „großes Verständnis“ für die Rücktrittsforderungen. 

Und der Episkopats-Vorsitzende, der Limburger Bischof Georg Bätzing, hielt Woelki vor, die Krise, die durch ein unter Verschluß gehaltenes Gutachten entstanden sei, „nicht gut gemanagt“ zu haben. Die Bischofskonferenz zeigt sich gespalten. Die Hetze gegen den Kardinal sei „inzwischen unerträglich“, befand der ehemalige sachsen-anhaltische Ministerpräsident Werner Münch (ehemals CDU). Bätzing und der Münchner Erzbischof Reinhard Marx setzten ihn unter Druck. Es handele sich um den Versuch, einen synoden-kritischen Kirchenmann loszuwerden. Woelki gilt als der prominenteste Kritiker zentraler Forderungen des sogenannten Synodalen Wegs nach mehr Mitspracherechten der Gläubigen. Die amtskirchenkritische Gruppierung „Wir sind Kirche“ erkennt darin auch den Grund, warum man im Vatikan so lange nach einem Weg gesucht habe, den Kardinal zu schonen: „Weil die konservativen Kräfte in Rom ihn als Bremser im Synodalen Weg unbedingt halten wollen.“ 

Den Kölner Wirren 2021 ist, wie man sieht, ein erhebliches Erregungspotential eigen. Das neue Gutachten wird, wie immer es auch ausfällt, den Riß, der durch die Gemeinden geht, nicht kitten können. Die „Causa Woelki“ hat viele Facetten. 

Foto: Kölns Erzbischof Rainer Maria Woelki: Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern des „Synodalen Weges“