© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Kinnriemen straff gezogen
AfD: Bei der Aufstellung der sächsischen Landesliste für die Bundestagswahl im Herbst setzen sich die Parteirechten auf ganzer Linie durch
Christian Vollradt

Das Ergebnis spiegele den Wunsch der Mitglieder nach Stabilität und Kontinuität wider, hieß es aus der hessischen AfD, nachdem die Partei ihre Landesliste zur Bundestagswahl aufgestellt hatte. Tatsächlich wurden beim Parteitag in Volkmarsen alle hessischen AfD-Abgeordneten, die 2017 nach Berlin gingen – Mariana Harder-Kühnel, Joana Cotar, Uwe Schulz, Jan Nolte, Albrecht Glaser und Martin Hohmann –, auf die ersten sechs Listenplätze wiedergewählt. Medial geriet die hessische Listenaufstellung allerdings etwas ins Hintertreffen, weil sich die Augen der meisten Beobachter auf das zeitgleich in Dresden stattfindende Treffen der Sachsen-AfD richteten. 

Das liegt zum einen am „Hotspot“-Charakter des Freistaats, der mit Zustimmungswerten jenseits der Zwanzigprozentmarke als eine der blauen Hochburgen gilt. So ist mit der Kür des AfD-Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla zum sächsischen Spitzenkandidaten auch der Anspruch verbunden, er müsse eine führende Rolle im Wahlkampf auf gesamtdeutscher Ebene spielen. Fraktionschef Alexander Gauland, der diese Rolle 2017 übernommen hatte, wird ihm den Anspruch gewiß nicht streitig machen. Der Parteisenior hat jetzt bekanntgegeben, was in seinem Umfeld schon länger gemunkelt wurde: Er wolle im Herbst noch einmal für den Bundestag antreten, mit Rücksicht auf Alter und Gesundheit aber zunächst begrenzt auf eine halbe Legislaturperiode.

Mitglieder empört über Kalbitz-Kandidatur

Gauland hatte als Gast in Dresden die über 700 versammelten Parteifreunde klar zum „Weiter so“ ermuntert. Keine Experimente, wer jetzt im Bundestag sitzt, solle es auch künftig tun. Damit bezog er mehr oder weniger indirekt Stellung gegen einen seiner engsten Mitarbeiter, seinen Redenschreiber Michael Klonovsky. Der kandidierte als Außenseiter für Listenplatz 2 – und verlor deutlich. Insider hatten dies kommen sehen. Klonovskys Plädoyer für realpolitische „Langeweile“ kam nicht an. Kontrahent und Mandatsinhaber Jens Maier heftete sich die Einordnung als Rechtsextremist durch den Verfassungsschutz wie einen Orden an die Brust, bekam reichlich Applaus und eine satte Mehrheit.

Es sei ein „Durchmarsch“ des offiziell aufgelösten und zuletzt bundesweit etwas gefleddert erscheinenden „Flügels“ gewesen, räumte ein innerparteilicher Kritiker dieser Richtung zerknirscht ein. Daß das liberalkonservative Lager in Dresden unbedacht blieb, mag der Vergangenheitsbewältigung geschuldet sein. 2017 trat man „gemischter“ an; unter anderem mit der Parteichefin als Spitzenkandidatin. Doch Frauke Petry war gleich am Tag nach der Wahl von der Fahne gegangen. Später verließen auch Verena Hartmann und Lars Herrmann die Fraktion. Von den sechs Ex-AfDlern im Bundestag stammt die Hälfte aus Sachsen. Das will man offenbar in Zukunft partout verhindern, und so wurden personell die Kinnriemen straff gezogen.

Ein Ex der ganz anderen Art beschäftigt dagegen Brandenburgs AfD. Nachdem die JUNGE FREIHEIT über die Ambitionen des früheren Landeschefs, sich für die Bundestagswahl im Wahlkreis 65 (Elbe-Elster – Oberspreewald-Lausitz II) aufstellen zu lassen, und den daraus resultierenden Unmut einer Reihe von Parteimitgliedern berichtet hatte, meldete sich die Potsdamer Parteispitze zu Wort. In einem Mitgliederrundbrief, der der JF vorliegt, heißt es, der Landesvorstand sei aufgefordet worden, „zur Kandidatur bestimmter Personen als Wahlkreiskandidat Stellung zu nehmen“. Dies lehne man ab, da gegen keine parteiinterne Regelung verstoßen wurde.

Der Vorstand sei offenbar nicht willens, den Imageschaden, den eine Kandidatur des Ex-Mitglieds Kalbitz mit sich brächte, abzuwenden, empörte sich ein AfD-Funktionär gegenber der JF. Es rumore gewaltig im Landesverband, meint ein anderer. „Es ist doch klar, daß sich dann alles nur noch um die Person Kalbitz dreht. Den inhaltlichen Wahlkampf für Brandenburg können wir dann einstellen.“ Der Brief habe die Empörung noch einmal verschärft. Zumal es darin heißt: Ziel müsse sein, „daß mindestens so viele AfDler wie bei der letzten Bundestagswahl“ aus Brandenburg einzögen. Doch Kalbitz sei eben jetzt kein AfD-Mitglied, betont der Kritiker. Sauer sei man auf die „Kalbitz-Hörigkeit“, die man vor allem bei der amtierenden Parteichefin Birgit Bessin ausmacht. Dazu paßt, daß die Brandenburger Landtagsabgeordnete an einem „Geheimtreffen“ des „Anti-Meuthen-Lagers“ Ende Januar in einem Hotel zwischen Berlin und Frankfurt (Oder) teilgenommen hatte, zu dem neben anderen auch Thüringens Landesvorsitzender Björn Höcke, Chrupalla und Gauland angereist waren. Aus Teilnehmerkreisen war zu hören, daß Bessin dort die Nicht-Enladung Kalbitz’ moniert habe. Der in einem der betroffenen Kreisverbände initiierte Antrag für eine außerordentliche Mitgliederversammlung erreichte derweil das nötige Quorum. 

Für Ärger sorgen auch die in Parteikreisen kursierenden Gerüchte, Kalbitz habe sich durch Kosten für die private Nutzung seines früheren Dienstwagens bei der Fraktion hoch verschuldet. Den ausstehenden fünfstelligen Betrag habe mittlerweile ein anderer Abgeordneter bei der Landtagsfraktion beglichen.