© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Ein bissel mehr ist zu wenig
Bundeswehr: Verteidigungsetat wird aufgestockt, reichen wird es trotzdem nicht
Peter Möller

Die deutschen Verteidigungsausgaben kommen endlich wieder in Tritt. Dieser Eindruck läßt sich bei einem Blick auf die Zahlen gewinnen, die Berlin an die Nato gemeldet hat. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hat die Bundesregierung für das laufende Jahr einen Betrag von 53,03 Milliarden Euro in die Brüsseler Bündniszentrale übermittelt. Dies entspricht einer Steigerung um 3,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für das abgelaufene Jahr waren die Ausgaben zuletzt auf rund 51,39 Milliarden Euro beziffert worden.

Damit entsprachen die deutschen Verteidigungsausgaben 2020 einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1,57 Prozent. 2019 waren es 1,36 Prozent. Allerdings lag der Anstieg bei der BIP-Quote 2020 vor allem am deutlichen Konjunktureinbruch durch die Corona-Krise. Vor der Pandemie war eine etwas geringere BIP-Quote der Verteidigungsausgaben in Höhe von etwa 1,42 Prozent erwartet worden. Dennoch: Die Kurve zeigt nach oben. Deutschland ist damit auf einem guten Weg, das den Nato-Partnern mehrfach zugesagte Ziel von einem Anteil der nationalen Verteidigungsetats am BIP in Höhe von zwei Prozent in absehbarer Zeit zu erreichen.

Doch nicht erst die Corona-Krise hat vor Augen geführt, daß langfristige politische Planungen schnell über den Haufen geworfen werden können. Und so sind auch die positiven Zahlen bei den Verteidigungsausgaben nur eine Momentaufnahme. Am Horizont ziehen bereits dunkle Wolken auf – in Gestalt der vertraulichen „Finanzbedarfsanalyse 2022“ des Wehrressorts, über das der Spiegel berichtet. Darin hat die Bundeswehrführung auf 38 Seiten und 100 Seiten Anhang mit zahlreichen Beschaffungs- und Rüstungsprojekten den Finanzbedarf der Streitkräfte für die kommenden Jahre zusammengetragen. Vergleicht man den Bedarf der Truppe mit den zu erwartenden Mitteln, entsteht aus den künftigen Bundeshaushalten kein gutes Bild: „Es wird deutlich, daß die erforderlichen Ressourcen nicht in Deckung mit den zur Verfügung stehenden und vor allem perspektivischen Finanzmitteln in Einklang zu bringen sind“, zitiert das Magazin aus dem Begleitbrief des Generalinspekteurs Eberhard Zorn zur „Finanzbedarfsanalyse 2022“.

Schon Mitte März könnten sich die schlimmsten Befürchtungen der Bundeswehrplaner bestätigen. Am 17. März legt Finanzminister Olaf Scholz (SPD) seine „Eckwerte“ für den Haushalt 2022 vor. Zudem präsentiert er auch den Finanzplan für die Jahre 2023 bis 2026, mit denen die finanzpolitische Marschrichtung für die kommenden Jahre festgelegt wird. Angesichts der gewaltigen Belastungen des Bundeshaushaltes durch die Corona-Krise schwant den Planern des Verteidigungsministeriums nichts Gutes. Auf „absehbare Zeit“ würden sich keine „finanzplanerischen Spielräume“ ergeben.

Mehr Macht für einen Parteisoldaten

Mit anderen Worten: Derzeit rechnet im Bendlerblock kaum jemand damit, daß sich die positive Entwicklung bei der Finanzausstattung der Bundeswehr der vergangenen Jahre fortsetzen wird. Im besten Fall bleibt alles so wie es ist. Doch das wäre zu wenig: Denn die Experten des Ministeriums gehen laut Spiegel davon aus, daß die Betriebskosten der Streitkräfte, also die Ausgaben für Gehälter, Versorgungsansprüche oder die Instandhaltung von Kasernen und Gerät pro Jahr um zwei bis drei Prozent steigen werden. Werde der bisherige Finanzplan fortgeschrieben und der Verteidigungshaushalt bleibt auf dem heutigen Niveau, würden allein diese Betriebskosten ab 2027 das komplette Budget auffressen.

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), die in der vergangenen Woche ankündigte, sie werde im Herbst für den Bundestag kandidieren, scheint die drohende finanzielle Schieflage der Streitkräfte zumindest öffentlich bislang nicht aus der Ruhe zu bringen. Wie die auf die Bundeswehr spezialisierte Internetseite „Augen geradeaus!“ berichtet, plant die Ministerin derzeit, die Spitze ihres Ressorts umzubauen. Dazu soll der bisher eigenständige Stab für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den Leitungsstab des Ministeriums integriert werden. Ziel ist es offensichtlich, den Leiter des Leitungsstabes, den ehemaligen stellvertretenden CDU-Bundesgeschäftsführer  Nico Lange den Kramp-Karrenbauer als Vertrauten ins Ministerium geholt hatte, zu stärken.

Ein Vorhaben, das acht Monate vor der Wahl darauf hindeuten könnte, daß sich „AKK“ darauf einstellt, das Wehrressort über die Bundestagswahl hinaus zu führen, wenn – wie es derzeit scheint – auch eine neue Bundesregierung von der Union geführt wird. In Berlin heißt es zudem, Kramp-Karrenbauer habe von der neuen CDU-Spitze für ihren Verzicht auf Parteiführung und Kanzlerkandidatur die Zusicherung für ein Ministeramt bekommen.

Doch nicht nur an der Spitze des Ministeriums steht ein Umbau an. Auch die militärischen Führungsstrukturen stehen vor tiefgreifenden Veränderungen. Derzeit überprüft Generalinspekteur Zorn die „Führungsfähigkeit der Streitkräfte“. Als Grundlage für eine größere Reform der Führungsstruktur der Bundeswehr hat der Generalinspekteur nach einem Bericht des Reservistenmagazins Loyal zwei Konzeptionen erarbeiten lassen. Die erste, umfassendere, stammt von militärischen Nachwuchskräften der Führungsakademie der Bundeswehr. Sie sieht eine deutliche Straffung und eine weitere Stärkung des Generalinspekteurs vor, dem mit dem „Militärischen Führungsstab“ eine Art Generalstab zur Seite gestellt werden soll. Das zweite Konzept wurde von der „Arbeitsgemeinschaft Generale/Admirale“, in der die stellvertretenden Inspekteure den Ton angeben, erstellt. Deren Ansatz beschränkt sich nach Loyal-Informationen im wesentlichen auf den Erhalt des jetzigen Aufbaus, optimiert nach Nato-Stabsstruktur. 

Die beste Reform der militärischen Führung nutzt allerdings nichts, wenn es auf politischer Ebene nicht gelingt, langfristig ausreichend Finanzmittel für die Truppe zu organisieren.