© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Beraterrepublik Deutschland
Paul Rosen

Zu Bonner Zeiten galt in der Politik das geflügelte Wort: Wer nicht mehr weiterweiß, gründet einen Arbeitskreis. Damit ließ sich ein Problem elegant vertagen. Inzwischen gibt es weitere Lösungen: Es werden Studien und Untersuchungen in Auftrag gegeben. Bis die fertig sind, vergeht ebenfalls längere Zeit, und bei Vorlage der Studie ist das darin behandelte Problem längst vergessen, so daß das Papier in der Schublade verschwindet.

Für den Steuerzahler sind die Problemverschiebungen und -entsorgungen allerdings ziemlich teuer. Allein in den ersten drei Quartalen des vergangenen Jahres wurden für externe Berater, die solche Studien erstellen, 344 Millionen Euro ausgegeben, erfuhr der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn (Linke) auf seine Anfrage an die Bundesregierung. Spitzenreiter laut Antwort an Höhn sind das Innenministerium mit 128,3 Millionen Euro Beratungskosten, das Finanzministerium mit 72,4 Millionen und das Gesundheits- sowie das Verkehrsministerium mit jeweils rund 30 Millionen Euro.

Vollständig sind die Zahlen allerdings nicht. Die meisten Rechnungen zahlt die Bundesregierung erfahrungsgemäß erst im Schlußquartal eines Jahres, wenn die Haushaltsmittel verbraucht werden müssen, um im nächsten Jahr nicht Gefahr zu laufen, daß der jeweilige Etat gekürzt wird. Im Volksmund ist dieses Behördenverhalten als „Dezemberfieber“ bekannt.

Ein Blick auf die vergangenen Jahre beweist, welchen Umfang die Beratungsleistungen wirklich haben. Höhn hatte auch Zahlen für 2019 abgefragt. Vollständige Angaben erhielt er nicht. So fehlten in der Aufstellung mit Ausgaben in Höhe von rund 500 Millionen Euro die Zahlen des Verteidigungsministeriums. 2019 fehlten die Angaben dieses Ministeriums ebenfalls, als die Regierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen Beratungsleistungen in Höhe von 682,9 Millionen Euro (2017: 722,4 Millionen) angab. 

Das wundert allerdings nicht, denn wegen der umstrittenen Vergabepraxis des Verteidigungsministeriums für Gutachten wurde 2019 sogar ein Untersuchungsausschuß tätig, der zahlreiche Unregelmäßigkeiten entdeckte. Eine Rolle bei der Vergabe von Gutachten soll die später zurückgetretene Verteidigungsstaatsekretärin Katrin Suder gespielt haben, die zuvor beruflich fest in der Szene Berliner Beratungsunternehmen verankert war. 

In einem Sondervotum von drei Oppositionsfraktionen im Untersuchungsausschuß wurde ihr vorgeworfen, die „gebotene Distanz“ zu früheren Weggefährten aus Beratungsunternehmen in ihrer Zeit als Staatssekretärin nicht eingehalten zu haben. Vom „Ausverkauf hoheitlicher Aufgaben“ sprach die AfD. 

Eingeschränkt werden soll das Beratungswesen trotz aller Fehlentwicklungen, auf die auch der Bundesrechnungshof regelmäßig aufmerksam macht, nicht. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) antwortete auf eine Anfrage im November 2020, es gebe „keine Planungen“, die Zahl der Beraterverträge zu verringern, obwohl auch der Haushaltsausschuß dies gefordert hatte.