© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Wo die Letzten die Ersten sind
Talkformate der Öffentlich-Rechtlichen: Obwohl kleinste Oppositionsfraktion, sind Grüne massiv überrepräsentiert / AfD ausgegrenzt
Fabian Schmidt-Ahmad

Wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland in einer Krise steckt, dann ist es zumindest keine des Selbstbewußtseins. „Die Menschen lieben, was wir tun und was wir bieten“, lobte der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow die eigene Arbeit im Kölner Stadt-Anzeiger. Ob nun Liebe oder nicht, in jedem Fall müssen die Deutschen zahlen. Rund 9,1 Milliarden Euro kostet jedes Jahr der öffentlich-rechtliche Rundfunk, alleine die ARD verschlingt davon 6,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die altehrwürdige BBC hatte 2020 ein Jahresbudget von 4,9 Milliarden Pfund (etwa 5,5 Milliarden Euro).

Für den stolzen Preis bekommen die Deutschen ein klar strukturiertes Weltbild. Mit Donald Trump ist ein Präsident des Bösen abgetreten, in Rußland regiert ein solcher noch. Auf Corona oder Klimawandel ist mit Panik zu reagieren, wer den Sinn von Lockdown oder orientalischer Masseneinwanderung hinterfragt, spielt mit „irrationalen Ängsten“. Statt einer sachlichen und umfassenden Information zu kontroversen Themen werden dem Zuschauer häufig Personen oder Ereignisse unreflektiert in einem Koordinatensystem der sittlich-moralischen, aber politisch korrekten Entrüstung präsentiert, dem „Framing“.

In Zahlen faßlich wird das im Umgang mit der AfD, die seit 24. September 2017 mit immerhin 12,6 Prozent der abgegebenen Stimmen die größte Oppositionsfraktion im Bundestag stellt und in sämtlichen Länderparlamenten vertreten ist. Dennoch ist sie in den fünf großen politischen Talkshows des öffentlich-rechtlichen Rundfunks während dieses Zeitraums kaum präsent. Ob „Anne Will“, „Hart aber fair“, „Maischberger“, „Markus Lanz“ oder „Maybrit Illner“: Parteipolitiker der AfD muß man mit der Lupe suchen. Auf 15 Einladungen brachte es bisher deren Fraktionsdoppelspitze, wobei zwölf Einladungen auf Alexander Gauland entfielen, drei auf Alice Weidel.

König Habeck, Bettelmann Chrupalla

Ganz im Gegensatz zur „Regierungspartei der Herzen“, den Grünen. Diese sind zwar mit 8,9 Prozent die kleinste Bundestagsfraktion, stellen jedoch seit der letzten Bundestagswahl im September 2017 satte fünfzehn Prozent der Gäste mit Parteibuch. Die Fraktionsdoppelspitze ist innerhalb dieses Zeitraums mit 47 Einladungen deutlich überreprässentiert; Katrin Göring-Eckardt erschien 22mal auf dem Bildschirm, Anton Hofreiter 25mal. Übertroffen werden sie von den Bundesvorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck mit 35 beziehungsweise 37 Auftritten. Ihr AfD-Pendant Jörg Meuthen und Tino Chrupalla nimmt dagegen magere sechs- beziehungsweise dreimal im Studio Platz.

Die wenigen Auftritte von AfD-Politikern in Talkshows geraten darüber hinaus schnell zu Vorladungen eines Tribunals. In 62 Prozent der Fälle ging es um Parteifragen, lediglich in 38 Prozent konnten AfD-Vertreter zu Sachfragen wie einer Reform der Asylgesetzgebung oder dergleichen Stellung nehmen. Anderen Parteien wird dagegen die Gelegenheit geboten, sich umfassend zu präsentieren. Die Linkspartei beispielsweise wurde in 71 Prozent der Fälle zu Sach- und nur in 29 Fällen zu Parteithemen eingeladen. Eine Benachteiligung nicht nur der AfD, sondern auch des mündigen Bürgers, der das Recht auf umfassende Information hat.

Verpflichtet, Kontroverses kontrovers darzustellen

Denn anders als bei Druckerzeugnissen gilt für den Rundfunk nicht das Presserecht, sondern der Medienstaatsvertrag (früher Rundfunkstaatsvertrag). Hier werden besondere Pflichten festgelegt, die über die journalistische Sorgfaltspflicht hinausgehen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat als Medium „freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung“ zu dienen, heißt es in Paragraph 26. „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind also gesetzlich verpflichtet, Kontroverses auch kontrovers darzustellen und den Zuschauern oder Zuhörern eine freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Wie alleine die Grafik für die fünf großen politischen Talkshows eindrucksvoll zeigt, war nicht eine von ihnen dazu in der Lage. Die „Echokammern“, die AfD-Anhängern gerne als Behausung angedichtet werden, wir finden sie genau hier. Eine inzestuöse Selbstvergewisserung der immer gleichen Köpfe, die in den Talkshows als Grundrauschen herumgereicht werden.

Elmar Theveßen beispielsweise, zuletzt Leiter des ZDF-Büros in Wa­shington, ist Experte für alles Mögliche: Amerika, Organisierte Kriminalität, islamischen Terrorismus, Islamhaß und mehr. Alleine in der Sendereihe „Markus Lanz“ brachte er es damit auf 33 Auftritte (die AfD hier im gleichen Zeitraum auf sechs). Der Verdacht eines selbstverstärkenden Effekts von Beziehungsnetzwerken liegt nahe. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach kam bisher als „Gesundheitsexperte“ auf sagenhafte 43 Talkshow-Auftritte, dabei gehört er noch nicht einmal dem Gesundheitsausschuß des Bundestages als ordentliches Mitglied an. Im Gegensatz zu Jürgen Braun, Paul Podolay, Robby Schlund, Jörg Schneider, Detlev Spangenberg und Uwe Witt. Einladungen der AfD-Politiker zu Anne Will & Co. – insgesamt null. Der scheinbar breite Konsens, der im öffentlich-rechtlichen Rundfunk präsentiert wird, ist in Wirklichkeit eine Simulation, gesichert durch Ausgrenzung und Abschottung.

Daß bestimmte Oppositionspolitiker absichtlich übergangen werden, räumen die Sender mitunter selbst unumwunden ein. Die ARD-Talksendung „Hart aber fair“ hatte 2018 AfD-Fraktionschef Alexander Gauland und den Thüringer AfD-Fraktions- und Landesvorsitzenden Björn Höcke zu unerwünschten Person erklärt. Auch die ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ gab bekannt, man wäge bei der Einladung von AfD-Politikern besonders sorgfältig ab. Ende 2019 verkündete das ZDF, Björn Höcke in Zukunft nicht mehr in Talkformate einladen zu wollen. „Wir Medien haben niemanden zu erziehen“, sagte ZDF-Chefredakteur Peter Frey in dem Zusammenhang. „Aber wir müssen zeigen, wo die Grenzen demokratischer Gesinnung verlaufen.“ Auf die Frage, ob Höcke für das ZDF noch ein potentieller Talkshowgast sei, antwortete der Chefredakteur: „Nein.“

Die Praxis der einseitigen Gästeauswahl hat der ehemalige ZDF-Moderator Peter Hahne an den öffentlich-rechtlichen Talksendungen kritisiert. Politiker der AfD als größte Opposition im Bundestag würden dort ausgegrenzt, sagte Hahne der JUNGEN FREIHEIT. „Daß Talkshows zu Regierungshochämtern trotz völligem Versagen in der Corona- und Impfpolitik mutieren, beweist, daß die Parallelgesellschaft der Medienmacher überhaupt keinen Sensus für die Lebenswelt der AfD-Wähler hat: Lehrer, Polizisten, querdenkende Wissenschaftler, Soldaten, Arbeiter.“

Es sei offenbar leichter, „der herrschenden Linie der Mächtigen zu huldigen“, als sich in die Materie einzuarbeiten und dann gut vorbereitet dagegenhalten zu können.

Der frühere stellvertretende Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, der zwischen 2010 und 2017 selbst das Talkformat „Peter Hahne“ moderierte, zeigte wenig Verständnis für eine solche Gästeauswahl. „Wer die AfD stark machen will, der schneidet sie und gibt damit zu, keine Argumente zu haben.“

Ist es in einem demokratischen System nicht Aufgabe der Opposition, die Regierung auf das ungemütliche Parkett öffentlicher Rechtfertigung zu holen? Eigentlich wäre es Aufgabe einer korrigierenden „vierten Gewalt“, die Opposition dabei zu unterstützen. Wie dieser kurze Ausschnitt zeigt, versteht sich aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk immer mehr als äußerste Verteidigungslinie in einer Bunkerlandschaft.