© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Weniger Körnchen für das „Graue Gold“
Betonhersteller: Eine Branche zwischen Küstenschutz, Wiederverwertung und der Sand-Mafia / Ökobaustoffe bislang keine echte Alternative
Bernd Rademacher

Zu DDR-Zeiten wurde gewitzelt: „Wenn Kommunisten die Sahara übernehmen, wird nach drei Monaten der Sand knapp.“ Das war übertrieben, und die Häuslebauer zwischen Ostsee und Erzgebirge litten unter anderem Mangel: von Badkeramik über Kupferkabel bis Ziegeln. Inzwischen wird der Sand tatsächlich knapp – aber nicht in der Wüste und auch nicht durch die Linkspartei. Schuld hat der weltweite Hunger nach Beton – und der besteht zu zwei Dritteln aus Sand.

Laut UN-Statistik verschwinden jährlich über dreißig Milliarden Tonnen davon in Betonmischern. Das Geschäft mit dem nach Wasser zweitwichtigsten Rohstoff der Bauindustrie floriert: Pro Jahr werden etwa 70 Milliarden Dollar mit den kleinen Körnchen umgesetzt. Rund 60 Prozent der global geförderten Sand- und Kiesmenge landet aktuell in China im „Grauen Gold“: Für Wohn- und Industriebauten, Straßen, Bahnstrecken oder Flughäfen wurde dort im vergangenen Jahrzehnt mehr Sand verbaut als in den USA im 20. Jahrhundert.

Sand steckt in Mineralputz, Estrichböden und Fensterscheiben. In Deutschland werden jährlich 250 Millionen Tonnen Sand, Kies und Quarz abgebaut. Für ein Mehrfamilienhaus mit Keller sind laut Bundesverband Mineralische Rohstoffe 701 Tonnen Gesteinsrohstoffe nötig, für ein Windradfundament 1.300 Tonnen, für einen Kilometer Radweg 11.000 Tonnen – bei Bahnstrecken sind es 35.000 Tonnen und bei Autobahnen 216.000 Tonnen. Selbst ein Einfamilienhaus ohne Keller verlangt nach 105 Tonnen Sand, Kies & Co.

Doch die Bevölkerungsexplosion und der Bauboom haben andernorts dramatische Folgen: Vor Marokko werden jährlich zehn Millionen Kubikmeter von „gut organisierten Netzwerken“ illegal abgebaut. Die „Sand-Mafia“ ist aber im ganzen Mittelmeerraum aktiv. Der illegale Sand wird weder gewaschen noch entsalzen und ist damit für den Bau untauglich – aber das merkt man erst nach einigen Jahren, wenn das Haus oder die Brücke bröckelt.

Regionale Lieferengpässe und steigende Preise

2017 verhängte Kambodscha einen Exportstopp ins boomende Singapur. Indonesien beschuldigt den Stadtstaat, für das Verschwinden von mehr als 80 Sand­inseln verantwortlich zu sein. Auch die „Sandvorspülungen“ vor Sylt, bei denen Sand vom Meeresboden mit Hochdruck an die Küste gepumpt wird, um den Badestrand vor Erosion zu schützen, sind umstritten. Denn die Entnahme vom Meeresgrund hat Folgen: Die Filterfunktion des Sandes hat Auswirkungen auf die Wasserqualität und Nahrungsgrundlage von Meereslebewesen.

Auch die afrikanisch-asiatischen Wüstenländer sitzen nicht auf unermeßlichen Bodenschätzen, denn Wüstensand ist für die Betonproduktion unbrauchbar: Wind und Rutschbewegungen haben die Sandkörner rund geschliffen. Bausand braucht aber Ecken und Kanten, um besser zusammenzuhalten. Laut der DIN EN 12620 für Gesteinskörnungen gilt Kies von 0,062 bis zwei Millimeter Durchmesser als betongeeignet. Kies ist abgeplatztes Gestein eiszeitlicher Gletscher. Mit den Flüssen gelangt der Rohstoff in die Meere: Er ist also kein schnell nachwachsender Rohstoff.

Der Münchner Betonhersteller Multicon hat ein patentiertes Granulatverfahren entwickelt, um aus Wüstensand brauchbaren Bausand herzustellen (JF 18/20). Ein naheliegender Ansatz ist auch die Wiederverwertung von Abbruchgebäuden. Beim Hausbau erlaubt der Gesetzgeber bis zu 45 Prozent Recyclingbeton. Dennoch setzt sich der „Altstoffbeton“ nur schleppend durch, obwohl er preislich wettbewerbsfähig ist und sich länger transportieren läßt als Frischbeton. Und der Sand, der beim Schreddern von Abbruchbeton übrigbleibt, darf wegen mangelnder Festigkeit nicht verbaut werden. Er hat die falsche Körnung und ist durch Putz- und Lackpartikel verunreinigt.

Und wie man aus Sand Glas herstellen kann, läßt sich Glas prinzipiell wieder zu Sand verwandeln. In Neuseeland, Florida und San Francisco wurde bereits mit „Sand“ aus zermahlenem Altglas experimentiert: Dünengräser wuchsen gut auf dem Glas-Granulat, und Meeresschildkröten nahmen den Kunststrand zur Eiablage an. Die Architektin Ginger Krieg Dosier kultivierte 2010 an der American University of Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten Bakterien, die Nährflüssigkeit in Kalzium umwandeln und so die Steinchen des Wüstensandes zusammenkitten. Ihr neues Unternehmen Biomason wirbt damit, „Bausteine zu züchten“.

Der deutsche Industriedesigner Markus Kayser verschmilzt die Sandpartikel durch gebündeltes Sonnenlicht zu größeren Strukturen. Doch das Baumaterial aus dem 3D-Drucker ist nichts für die Massenproduktion. Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie geht einen Schritt weiter und will mineralische Baustoffe komplett ersetzen: durch Pilze. Das Rezept: Der Architekturprofessor mischt Pilzsporen mit einem organischen Substrat und Wasser. Das Mycelium bildet kleine „Ärmchen“, die das Material durchwachsen, bis eine kompakte Struktur entsteht. Durch Zugabe von Wärme wird das Wasser entzogen und der Pilz stirbt ab. Übrig bleibt die feste Struktur, die sich zu robusten Ziegeln oder Platten formen läßt.

Andere Forscher arbeiten an Polymer-Beton aus Bambus, Hanf oder Flachs, die mit Harzen gebunden werden. Klimaschützer propagieren sogar Holzhochhäuser – die Zementindustrie soll für acht Prozent der menschengemachten CO2-Emissionen verantwortlich sein (JF 37/19). Doch bisher ist der Meeressand immer noch billiger. Dänemark erhebt daher bereits eine „Sandsteuer“ auf Meeressand. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe hält das für überflüssig. Schon die regionalen Lieferengpässe in Berlin, München oder im Raum Mannheim-Karlsruhe würden „zu einer Verteuerung der Rohstoffe und damit des Bauens führen“.

„Sand – auch in Deutschland bald knapp?“: www.bgr.bund.de

Bundesverband Mineralische Rohstoffe: www.bv-miro.org