© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Von Einigkeit weit entfernt
Identitätsfigur: Das neue Planetarium in Halle sollte den Namen Sigmund Jähns tragen / Darüber wird jetzt heftig gestritten
Paul Leonhard

Der erste deutsche Raumfahrer ist kein „zukunftsfähiger Namenspatron“ für das neue Planetarium von Halle an der Saale. Schließlich sei Sigmund Jähn (1937–2019) nicht nur Bürger der DDR gewesen, sondern auch Generalmajor der NVA und Mitglied der Einheitspartei. Das findet Birgit Neumann-Becker, Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Überdies habe sich der Kosmonaut bei seinem Flug ins All „kaum von der Erde entfernt“, sekundiert der Verein Zeit-Geschichte(n) Halle, den die CDU-Stadtratsfraktion um Rat gefragt hat. Ein Planetarium solle schließlich die Weite des Weltalls zeigen.

Gemessen an der Unendlichkeit nimmt sich Jähns sieben Tage, 20 Stunden, 49 Minuten und vier Sekunden dauernder Flug, bei dem er 125 Erdumkreisungen absolvierte, tatsächlich bescheiden aus. Aber er sicherte ihm immerhin einen Platz in den deutschen Geschichtsbüchern. Denn der Arbeitersohn aus dem Vogtland war, wie 1978 die DDR-Medien triumphierend meldeten, der „erste Deutsche im All, ein Bürger der DDR“.

Und da Jähn in seinen öffentlichen Auftritten stets bescheiden blieb und man ihm glaubte, daß er „die Jubelberichterstattung nicht als Musik in den Ohren“ empfand, wie er 30 Jahre nach seinem Weltraumflug gestand, und „im Rampenlicht zu stehen anstrengender fand als die Reise ins All“, wurde er tatsächlich das, was er nie werden wollte: ein mitteldeutscher Volksheld, eine der neben Radsportlegende Täve Schur wenigen wirklichen Identifikationsfiguren im Arbeiter- und Bauernstaat.

Nach dessen Untergang betreute der Berufsoffizier, der zuletzt Chef des eigens geschaffenen Raumfahrt-Trainingszentrums der Luftwaffe in Eggersdorf bei Strausberg war, im Auftrag des Europäischen Astronautenzentrums in Köln deutsche und europäische Raumfahrer bei der Vorbereitung ihrer Missionen. Astronaut Reinhold Ewald beschreibt seinen Mentor Jähn als einen „sehr geradlinigen Menschen, der das Scheinwerferlicht eher gemieden“ habe.

Zu Lebzeiten war Jähn unumstritten. Auch nach der Wiedervereinigung wurde er ver- und geehrt. So wurde ein Asteroid nach ihm benannt, sein Geburtsort Morgenröthe-Rautenkranz ernannte ihn 2002 zum Ehrenbürger, ebenso Neuhardenberg und Strausberg. Der Raumfahrer wurde Ehrenmitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin. Erst im September 2017 wurde im sächsischen Dommitzsch eine Grundschule nach ihm benannt. Und so schien auch lange Zeit klar zu sein, daß wie der 1978 eingeweihte Vorgängerbau auf der Peißnitzinsel auch das neue Planetarium in Halle nach Jähn benannt werden sollte.

SPD und Linke hoffen auf ein Einlenken

Noch 2019 waren sich die im Hallenser Stadtrat vertretenen sechs Fraktionen von Linken, Grünen, SPD, FDP, CDU und Mitbürgern darin einig, daß das 14,5 Millionen Euro teure Gebäude den Namen des kurz zuvor verstorbenen Jähn tragen sollte. Von dieser Einigkeit ist dieser Tage nichts mehr zu spüren. Volksvertretern wie der CDU-Stadträtin Ulrike Wünscher ist plötzlich aufgegangen, daß Jähn nur ins All fliegen durfte, „weil er systemkonform“ gewesen sei. Aber nach einem „herausgehobenen Repräsentanten des DDR-Staates“ dürfe das neue Planetarium, das Ende des Jahres eröffnet werden soll, keinesfalls benannt werden.

Tatsächlich wurde Jähn im August 1980 als „Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit“, Deckname „Falke“, von der Staatssicherheit registriert, und im Juni 1986 als „Inoffizieller Mitarbeiter Sicherheit“, Deckname „Tanja“. Aber es existieren weder eine Verpflichtungserklärung noch Berichte von ihm.

Jähn sei natürlich kein Oppositioneller gewesen, heißt es von seiten der SED-Nachfolger, aber er habe als erster deutscher Kosmonaut zweifellos eine große und symbolträchtige Leistung vollbracht, sagt Eva von Angern, Landtagsfraktionschefin der Linken. Und er habe das „als Akteur des politischen Systems der DDR getan, alles andere wäre auch nicht möglich gewesen“. Deswegen die Benennung des Planetariums nach Jähn abzulehnen sei nicht nachvollziehbar.

Auch die Sozialdemokraten stehen zu Jähn. Dieser sei eine „Symbolfigur der Ostdeutschen und damit auch der gesamtdeutschen Raumfahrt“, findet Kay Senius, SPD-Stadtrat und Kulturausschußvorsitzender. Und auch SPD-Fraktionschef Eric Eigendorf hofft, daß die anderen Fraktionen „ihre ablehnende Meinung überdenken“.

Unversöhnlich zeigt sich Birgit Neumann-Becker. Die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wirft Jähn vor, daß für ihn Demokratie und Freiheitsrechte nie eine Rolle gespielt hätten. Jähn habe sich nie für die Folgen der von ihm gestützten Diktatur interessiert.

Alle Fraktionen bemühen sich inzwischen um Kompromisse oder Alternativen. SPD und Linke haben angeboten, auf die historische Rolle Jähns in der DDR hinzuweisen. Die CDU möchte das Gebäude nach der US-Astronautin Judith Resnik benennen, einer der Toten der Challenger-Katastrophe von 1986. Die Fraktion „Hauptsache Halle“ plädiert für Neil Armstrong, der als erster Mensch den Mond betrat. Die FDP würde am liebsten die Namensrechte für das Planetarium verkaufen, um mit den Einnahmen eine Stelle für Bildungsangebote zu finanzieren. Aber auch den neutralen Namen „Planetarium Halle (Saale)“ würde man als „guten Kompromiß“ mittragen, so Stadtrat Olaf Schöder. „Lassen wir es bei der Neutralität und heben wir den Namen unserer Stadt hervor“, findet Wolfgang Aldag von den Grünen.

Ende März soll der Stadtrat entscheiden, welchen Namen das Planetarium erhält.