© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Benennung der Fronten
Der Politikwissenschaftler Lothar Fritze über den Kulturkampf zwischen Partikularisten und Universalisten
Michael Dienstbier

Man muß sich Lothar Fritze als einen aufgebrachten Mann vorstellen. Der bis 2019 als Forscher am Dresdener Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung tätige Politikwissenschaftler erlebt seit der Aufgabe des deutschen Grenzregimes von 2015, wie die von ihm seit Jahrzehnten analysierten Totalitarismen der Vergangenheit fröhliche Urständ feiern. 

In seinen Büchern „Der böse gute Wille“ (2016), „Kritik des moralischen Universalismus“ (2017) und „Angriff auf den freiheitlichen Staat“ (2020) verortet er im moral-universalistischen Kosmopolitismus des polit-medialen Komplexes in Verbindung mit den ökonomischen Interessen der globalen Wirtschaftseliten die Ursache für die Delegitimierung nationaler Belange, die sich aktuell in Versuchen der Kriminalisierung entsprechender politischer Oppositionskräfte und zivilgesellschaftlicher Bürgerbewegungen manifestiert. Lag der Fokus bei Fritze zuerst noch auf der Analyse des kollektiven Willkommensrausches 2015, bewertete er diesen in seinen folgenden Veröffentlichungen als einzelnes – wenn auch extremes – Symptom einer weitaus bedrohlicheren Entwicklung. Diese Tendenz setzt sich in seinem neuen Buch „Kulturkampf: Moralischer Universalismus statt Selbstbehauptung?“ fort, in dem er vor der „Etablierung totalitärer Demokratien“ in Europa warnt.

Universalisten gegen Partikularisten, Kosmopoliten gegen Kommunitaristen – Fritze gehörte im deutschsprachigen Raum zu den ersten, die die Fronten im Kulturkampf unserer Tage klar benannt und popularisiert haben. Es wird auf jeder Seite deutlich, daß er sich im Lager der Partikularisten verortet. Dennoch handelt es sich beim vorliegenden Buch um keine Polemik, die das sinistere Vorgehen der anderen Seite kategorisch dämonisiert. Beide Grundausrichtungen, so der Autor, bedürften einander als Korrektiv, da die Dominanz jeweils einer Seite enormes totalitäres Potential berge. Unser Zeitgeist ist aber eindeutig universalistisch, und das entsprechende Denken hat in Politik, Medien und den Bildungseinrichtungen hegemonialen Stellenwert erlangt. 

Dessen Vertreter zeichne vor allem folgende Überzeugung aus: „Die Idee, sich zuerst um die Verhältnisse im eigenen Land zu kümmern, ist ihnen nicht nur fremd; sie halten sie für moralisch illegitim.“ Sich am Eigenen zu orientieren sei jedoch kein Ausdruck einer Herabwürdigung anderer Kulturen, sondern seit Jahrtausenden Konstante menschlichen Daseins. Fritze definiert menschliche Gemeinschaften als Zusammenschlüsse zur „gemeinsamen Daseinsbewältigung“, die sich auf Ebene der Völker als Abstammungsgemeinschaften als besonders erfolgreich erwiesen hätten. Universalisten jedoch betrachten jede Ebene zwischen dem Individuum und der gesamten Menschheit für grundsätzlich illegitim. 

Hier hat der Kampf gegen die Kernfamilie und den Nationalstaat seine Wurzeln, mit dem die progressiven Kulturkrieger der Neuzeit, so Fritze, den Kampf des Kommunismus in neuem Gewand fortführten. Seine Schlagkraft erhalte er durch seine Allianz mit den Wirtschaftseliten, für die Grenzen nur lästige Handelshindernisse darstellen und jede Bindung des einzelnen an Familie, Volk oder Glaube nur die Entwicklung des beliebig formbaren Konsumenten behindert. Somit mache sich die universalistische Linke zum nützlichen Idioten ihres alten Feindes, der diese unheilige Allianz in dem Moment beenden werde, in dem alle Hindernisse globalen Handels beseitigt sind.

Fritzes Ansatz ist ein politologisch-philosophischer. Ihm gelingt es hervorragend, die anspruchsvolle Materie präzise und verständlich auszuformulieren, ohne zu sehr zu vereinfachen. Hier schreibt nicht der hauptberufliche Wissenschaftler sine ira et studio, sondern der engagierte Staatsbürger, der davon überzeugt ist, daß der Wille zur Selbstbehauptung über der moralisch verpflichtenden Interessenbewahrung der gesamten Menschheit stehen muß. Daß Fritze für seine Sichtweise von den üblichen Stellen als „Extremist“ gebrandmarkt wird, erklärt sich von selbst. Es ist halt Kulturkampf.

Lothar Fritze: Kulturkampf. Moralischer Universalismus statt Selbstbehauptung? Jungeuropa Verlag, Dresden 2020, gebunden, 272 Seiten, 22 Euro