© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/21 / 12. Februar 2021

Die Erlösung aus dem Impfdesaster dauert
Das russische Vakzin Sputnik V darf nicht von hausgemachten Problemen ablenken / Weitere Kandidaten?
Jörg Schierholz

Im Dezember sind laut Robert-Koch-Institut in Deutschland 20.547 Patienten im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Das waren 1.295 mehr als in den zehn vorangegangen Monaten. Für Markus Söder „ist Impfen die einzig echte Langzeitstrategie gegen Corona“ – doch dabei haben Deutschland und die EU versagt, wie die höheren Impfquoten in Israel, Großbritannien oder den USA zeigen. Der CSU-Chef verlangte daher in der Welt, die Zulassungsbehörden „sollten schnellstens auch den russischen und chinesischen Impfstoff prüfen“.

Doch Sputnik V stößt auf Mißtrauen. Wladimir Putin hatte im August die Registrierung eines Impfstoffs im Eilverfahren gegen Sars-Cov-2 verkündet: Gam-Covid-Vac sei „effektiv und bildet eine beständige Immunität“. Die deutschen Leitmedien reagierten arrogant auf den „neuen Sputnik-Schock“ (JF 36/20). Das sei „Propaganda“, die Daten wurden als „spekulativ“ abqualifiziert. Als die Phase-I- und Phase-II-Daten im Fachmagazin Lancet veröffentlicht wurden, warnten Experten um Enrico Bucci (Temple University/Philadelphia) vor möglichen Unregelmäßigkeiten der Studien und forderten, auch die Rohdaten zu veröffentlichen.

„Old School“-Impfstoff als Weg aus der Corona-Krise?

Vorige Woche kam der nächste Sputnik-Schock: Erste Zwischenergebnisse einer klinischen Phase-III-Studie, basierend auf Daten von über 20.000 Probanden, zeigten eine Wirksamkeit von 91,6 Prozent gegen einen symptomatischen Verlauf von Covid-19, auch bei älteren Patienten – publiziert wieder im Lancet. Der russische „Old School“-Impfstoff ist bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit mit den neuartigen Vakzinen von Biontech und Moderna vergleichbar (JF 48/20). Die EU-Zulassungsbehörde EMA prüft nun die eingereichten Zulassungsunterlagen des Gamaleya-Instituts.

„Die Entwicklung von Sputnik V wurde für die ungemeine Eile, die fehlende Studienlage und die Intransparenz kritisiert. Aber die hier berichteten Ergebnisse sind klar, und das wissenschaftliche Prinzip der Impfung wird demonstriert. Das heißt, ein weiterer Impfstoff kann sich jetzt im Kampf gegen Covid-19 einreihen“, erklärte der Virologe Ian Jones von der englischen University of Reading, einer der Gutachter der Studiendaten.

Sputnik V ist ein Vektorimpfstoff. Die eigentliche Impfsubstanz (Genabschnitte des Coronavirus) wird über einen harmlosen Adenovirus verabreicht. Ein ähnlicher Ansatz wird beim AstraZeneca-Impfstoff genutzt. Zur Verhinderung einer abschwächenden Immunreaktion wird bei der Zweitimpfung ein unterschiedliches Adenovirus eingesetzt. Dies führt auch zu einer stärkeren Immunantwort gegen das Coronavirus. Sputnik V muß nicht so aufwendig gekühlt werden – das ist eines der größten Probleme der mRNA-Impfstoffe von Biontech und Moderna. Zudem scheint der Preis niedriger zu sein.

Weißrußland, Serbien und Ungarn setzen schon auf Sputnik V. Für den weltweiten Export wurde eine „Light-Variante“ mit nur einer Dosis des Impfstoffs mit einem niedrigeren Preis angekündigt. In Argentinien, Bolivien, Uruguay, Armenien, dem Iran, Tunesien oder Guinea gibt es bereits eine Zulassung, Impfkampagnen mit Sputnik V sind angelaufen. Nach Angaben des Russian Direct Investment Fund (RDIF) wurden 1,2 Milliarden Dosen bestellt, 50 Länder hätten Interesse bekundet.

100 Millionen Dosen sollen an Indien, 50 Millionen an Brasilien, 35 Millionen an Usbekistan, 32 Millionen an Mexiko und jeweils 25 Millionen an Ägypten und Nepal geliefert werden. Durch seine vereinfachte Logistik und den geringen Preis könnte Sputnik V eine wichtige Rolle in einer globalen Impfstrategie spielen. Auch die EU könne im zweiten Quartal mit 100 Millionen Dosen versorgt werden.

Im Januar habe Angela Merkel sogar ein „heikles Telefonat mit Putin“ geführt, um „mögliche Perspektiven der gemeinsamen Impfstoffproduktion“ auszuloten, empörte sich die Süddeutsche Zeitung. Laut MDR prüft Rußland bereits Produktionsmöglichkeiten in Sachsen-Anhalt bei IDT Biologika. Ob die Kapazitätsprobleme, mit denen westliche Pharmafirmen zu kämpfen haben, mit russischer Hilfe gelöst werden können, ist zweifelhaft.

Zuwenig Daten von den chinesischen Pharmafirmen

Die Massenproduktion innovativer Arzneimittel, deren hochkomplexe Genehmigung, die rechtlichen Vorgaben und die Abhängigkeit von Roh- und Zusatzstoffen, welche alle zertifizierte Qualität aufweisen müssen, lassen die schon erreichten Produktionszahlen als ein kleines Wunder erscheinen. Nicht ohne Grund gibt es seit Jahren Lieferschwierigkeiten selbst bei herkömmlichen Arzneimitteln. Eine geringe Abweichung innerhalb der Produktionsprozesse oder eine leicht verunreinigte Charge eines Hilfsstoffes können die Produktion um Wochen zurückwerfen. 

Mit weiteren Impfstoffzulassungen ist dennoch zu rechnen. Sinopharm teilte Ende Dezember mit, sein Vakzin biete einen 79prozentigen Schutz vor Covid-19-Infektionen, in China gebe es eine lokale Zulassung. Allerdings wurden in Peru die klinischen Tests ausgesetzt, nachdem bei einem Probanden neurologische Probleme festgestellt wurden. In Brasilien wurden die klinischen Studien eines Impfstoffkandidaten von Sinovac Biotech gestoppt, der Wirksamkeiten von 65 bis 78 Prozent haben sollte. Der Vektorimpfstoff Convidecia, entwickelt von Cansino Biologics und dem Pekinger BIB, befindet sich in einer Phase-III-Studie.

Von den drei chinesischen Firmen gibt es aber keine umfassenden Daten. Ebenfalls unterhalb des Aufmerksamkeitsradars haben Bharat Biotech, zusammen mit dem Indian Council of Medical Research und dem National Institute of Virology eine Notfallzulassung für ihren Vektorimpfstoff in Indien erhalten. Der US-Konzern Johnson & Johnson hat mit der belgischen Tochterfirma Janssen schon 37 Millionen zukünftige Impfdosen an die EU verkauft und vorige Woche einen Zulassungsantrag bei der amerikanischen Behörde FDA gestellt. Die Wirksamkeit des Vakzins soll bei 66 Prozent liegen.

Bei der Tübinger Firma Curevac hat sich die EU 42 Millionen Dosen gesichert, obgleich die zulassungsrelevante Phase-III-Studie erst im Dezember gestartet wurde. Die von Donald Trumps „Operation Warp Speed“ unterstützte US-Firma Novavax berichtete unlängst 89,3 Prozent Wirksamkeit in ihrer Zulassungsstudie. Wie in der JF prognostiziert, werden dieses Jahr etliche Vakzine gegen Covid-19 auf den Markt kommen. Die eigentlichen Probleme sind der Aktionismus einer katastrophalen Impfkampagne, die grob fahrlässige Vernachlässigung der gefährdeten Bevölkerungsgruppen sowie die Mangelwirtschaft bezüglich einer effizienten Teststrategie. Sputnik V wird der Berliner Corona-Politik nur beim Füllen diverser Nachrichtenseiten helfen können.

Lancet-Artikel über „Safety and efficacy of an rAd26 and rAd5 vector-based heterologous prime-boost Covid-19 vaccine“:

 doi.org

 sputnikvaccine.com