© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Langsam schon mal neu sortieren
Christian Vollradt

Die Bundestagswahl ist noch über ein halbes Jahr entfernt, doch im politischen Berlin wirft sie längst ihre Schatten voraus. Das läßt sich an verschiedenen Phänomenen beobachten. Zum Beispiel an der Betriebsamkeit in der Bundesregierung, noch die eine oder andere Sache vom Tisch zu bekommen. 

Das Lieferkettengesetz etwa, Zankapfel zwischen verschiedenen Ministerien und quer zu den Lagern von Schwarz und Rot, wurde nun eingetütet und als Kompromiß verkauft. Oder das Insektenschutzpaket. Im September 2019 bereits vorgestellt, doch lange im Clinch zwischen dem CDU-geführten Landwirtschafts- und dem Umweltministerium von Svenja Schulze (SPD) festgefahren. Nun soll Kanzleramtsminister Helge Braun im Auftrag der Regierungschefin höchstselbst die Streithähne auf den Pott und ein Ultimatum gesetzt haben. 

Den Bauern, die massiv gegen die mit dem Paket verbundenen entschädigungslosen Einschränkungen Sturm liefen, soll Ressortchefin Julia Klöckner deutlich gemacht haben: Schluckt diese Kröte lieber, denn überlegt mal, welche politische Konstellation nach der Wahl im Herbst kommt – und ob die dann für eure Interessen nicht noch schlechter sein würde. Die (sehr) wahrscheinliche schwarz-grüne Koalition als Drohkulisse … Daß solch ein Bündnis bei manchen schon längst angestrebt wird, ist sogar in verborgeneren Gefilden des Regierungsapparats zu beobachten. So wechselten im Laufe dieser Legislaturperiode mehrere Mitarbeiter von Abgeordneten oder der Fraktion der Grünen, beispielsweise Referenten für Militär- und Sicherheitspolitik, in unionsgeführte Häuser, etwa ins Verteidigungs-, das Innenministerium oder ins Kanzleramt. Man steht sich offenbar schon sehr nahe. 

Umgekehrt ziehen dunkle Wolken über politischen Beziehungen auf, wo früher eitel Sonnenschein herrschte und man von natürlichen Verbündeten sprach. So blaffte vergangene Woche Unionsfraktionschaf Ralph Brinkhaus im Bundestagsplenum seinen Kollegen Christian Lindner von der FDP barsch an („Das ist erbärmlich“); und die SPD war sauer auf die Grünen, weil die – mit Hilfe der AfD – den Finanzminister ins Parlament zitiert hatten. „Scheinheiliges Spektakel“, polterte der sozialdemokratische Außenminister Heiko Maas in Richtung der Grünen, von „Klamauk“ sprachen andere Genossen. 

Die, so hat es den Anschein, haben sich insgeheim angesichts ihres Verharrens im Dauer-Umfragetief längst auf den Abschied von der Macht eingestellt – allem Geraune über eine vielleicht doch vorstellbare Ampel-Koalition zum Trotz. Ganz pragmatisch verlegt sich die noch-regierende Ex-Volkspartei auf das, was man in der Hauptstadt euphemistisch „Aktion Abendsonne“ nennt. Tatsächlich versteht man darunter die Unsitte, kurz vor Ende der Amtszeit wichtige – und gut dotierte – Posten rasch noch mal eben mit Parteifreunden oder Parteinahen zu besetzen. Meistens in Form eines „Deals“ (ein Bonbon für die Roten, ein Bonbon für die Schwarzen), in jedem Fall aber zu Lasten der Steuerzahler.