© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Der Ochse kann nicht alles richten
USA-China: Die neue US-Regierung will Härte zeigen – aber auch Geschäfte machen
Peter Kuntze / C.-Torsten Weick

Der chinesische Botschafter in den Vereinigten Staaten sprühte vor Optimismus. Die Vereinigten Staaten und China sollten im „Geiste des Ochsen, eines Tierkreiszeichens, das in der chinesischen Kultur Ausdauer, Energie und Hingabe symbolisiere, für eine bessere gemeinsame Zukunft zusammenarbeiten“, erklärte Cui Tian-kai vergangene Woche nach Angaben der Nachrichtenagentur Xinhua. Kurz zuvor hatten der chinesische Präsident Xi Jinping und sein amerikanischer Amtskollege Josepf Biden telefoniert. 

„Ich glaube, so lange wir beharrlich sind und uns von Wissenschaft und Humanität leiten lassen, werden wir die Pandemie in nicht allzu ferner Zukunft gemeinsam überwinden“, betonte der 68jährige. China werde der „Win-Win-Strategie der Öffnung und wirtschaftlichen Globalisierung verpflichtet“ bleiben und mit den USA und anderen Ländern zusammenarbeiten, um der „Weltwirtschaft Vertrauen und Energie zu geben“, fügte Tiankai hinzu. 

Pekings BBC-Verbot erzürnt Washington

Vor allem müßten die Länder ihre Differenzen beilegen und mit „Verantwortungsbewußtsein und Solidarität handeln, um eine Reihe globaler Herausforderungen wie übertragbare Krankheiten und den Klimawandel bewältigen zu können.

Ganz so rosig sieht das die neue Biden-Administration nicht. Bereits die Einladung von Taiwans De-facto-Botschafter in den USA, Hsiao Bi-khim, zu Bidens Amtseinführung, sollte nach der Meinung von Experten wie Lev Nachman von der National Taiwan University, die US-Entschlossenheit signalisieren, Peking nicht zu erlauben, seine Politik gegenüber Taiwan weiter zu verschärfen.

Im Telefongespräch mit Xi Jingping unterstrich Präsident Biden seine grundsätzliche Besorgnis über Pekings „zwanghafte und unfaire Wirtschaftspraktiken, das harte Durchgreifen in Hongkong, die Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und das zunehmend selbstbewußte Vorgehen in der Region, einschließlich gegenüber Taiwan“. Laut dem Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, verurteilen die USA ebenso „absolut“ die Entscheidung Pekings, BBC World News zu verbieten. China unterhalte einen der am „stärksten kontrollierten, unterdrückenden und am wenigsten freien Informationsräume der Welt“, so Price. 

Es sei ebenso besorgniserregend, daß Peking den freien Betrieb von Sendern und Plattformen in China einschränke, während Pekings Führung freie und offene Medienumgebungen in Übersee nutze, um „Fehlinformationen zu verbreiten“. Auch in bezug auf die Konfuzius-Institute, so Price, habe die US-Regierung große Bedenken gegenüber den Aktivitäten der KP Chinas.

Während Biden betonte, mit China weiter zusammenarbeiten zu wollen, „wenn es dem amerikanischen Volk nützt“, wies Tiankai darauf hin, daß das Jahr 2021 auch den 50. Jahrestag von Henry Kissingers erstem Geheimbesuch in China und der Ping-Pong-Diplomatie markiere. In den vergangenen fünf Jahrzehnten hätten sich die „beiden Länder über ideologische Differenzen und die Konfrontation des Kalten Krieges hinweggesetzt und große Fortschritte“ in ihren Beziehungen gemacht, unterstrich Pekings Botschafter.

Der Republikaner Kissinger, der vor fünfzig Jahren mit einem Husarenstück die Annäherung an die Volksrepublik einleitete (Besuch Präsident Nixons 1972 bei Mao Zedong), hat stets davor gewarnt, gegenüber Peking eine moralisierende Ausgrenzung zu betreiben. Nur zu gut weiß er um den aus Überheblichkeit und Ignoranz gespeisten Impetus seiner Landsleute, der den Frieden gefährden kann: „Der amerikanische Exzeptionalismus“, so Kissingers Diktum, „ist missionarisch. Er steht für die Ansicht, daß die USA die Pflicht haben, ihre Werte auf der ganzen Welt zu verbreiten.“ Im November 2018, als der Realpolitiker von Xi Jinping als „alter Freund des chinesischen Volkes“ empfangen wurde, mahnte Kissinger die Politiker auf beiden Seiten des Pazifiks, eine Tradition der Konsultation und des gegenseitigen Respekts zu etablieren, um der Welt zu zeigen, daß ihre Gemeinsamkeiten weit größer seien als ihre Differenzen.

Doch diese Worte dürften zumindest in Washington auf taube Ohren gestoßen sein. Während Xi in dem Telefonat mit Trumps Nachfolger für Kooperation eintrat und vor einer Konfrontation warnte, „die definitiv für beide Länder und die Welt katastrophal ist“, hatte Biden zuvor in einem Interview erklärt, zwar wolle er keinen Konflikt, es werde aber mit China einen „extremen Wettbewerb“ geben. In seiner Zeit als Vizepräsident habe er viele Gespräche mit Xi Jinping geführt. Der Staats- und Parteichef sei sehr intelligent und ein äußerst harter Gegenspieler. Biden wörtlich: „Xi hat – und das meine ich nicht als Kritik, es ist einfach die Realität – keinen Funken Demokratie in sich.“ 

Mehr Milliardäre in China  als in den USA

Als der greise Kissinger 2018 zu seinem wohl letzten Besuch in China weilte, war die Volksrepublik bereits die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und auf dem Weg zu einem hypermodernen Hightech-Staat. Nicht nur dem einstigen Präsidentenberater muß dieser Aufstieg wie ein Mirakel erschienen sein, denn Anfang der siebziger Jahre war China noch ein Armenhaus. 

Heute gibt es in der Volksrepublik (mit und ohne Parteibuch) mehr Milliardäre als in den USA sowie eine konsum- und reisefreudige Mittelschicht, die rund 400 Millionen Bürger zählt.

Es ist dieser wirtschaftliche Erfolg, der westliche Politiker beunruhigt, waren sie doch bisher davon ausgegangen, daß nur die Demokratie ökonomischen Fortschritt garantiert. Als einer der wenigen im deutschsprachigen Raum hat der Schweizer Sinologe und Jurist Harro von Senger das vermeintliche Rätsel gelöst: Es ist der „Sinomarxismus“, die stete Anpassung der Marxschen Lehren an die chinesischen Bedingungen und an die ostasiatische Mentalität, letztere volkstümlich charakterisiert als „Großes Wir und kleines Ich“ im Gegensatz zum westlichen „Großen Ich und kleinen Wir“. Im ökonomischen Bereich hat dies, veranlaßt von Deng Xiaoping, zur Einführung staatskapitalistischer Methoden geführt, was seit 1978, zwei Jahre nach Maos Tod, als „Sozialismus chinesischer Prägung“ firmiert.

Auf die Frage der Zeit, wann es denn endlich mit Demokratie und Menschenrechten vorangehe, antwortete 2010 Li Er, einer der bekanntesten chinesischen Schriftsteller: „Es gibt bei uns einen Konsens darüber, daß zunächst Wohlstand geschaffen werden soll und es dann erst um die Ausweitung der bürgerlichen Freiheiten gehen kann. Viele Menschen im Westen sind einfach zu ungeduldig mit China.“

Drei von Biden in seinem Telefonat angesprochene Themen sind es, die der Volksrepublik den Vorwurf des Bruchs des Völkerrechts und der Verletzung der Menschenrechte eintragen: Taiwan, Hongkong und Xinjiang. In allen drei Fällen zieht Peking jedoch rote Linien. Fragen in bezug auf die drei Gebiete seien „Chinas innere Angelegenheiten und beträfen Chinas Souveränität und territoriale Integrität, und die US-Seite sollte Chinas Kerninteressen respektieren und umsichtig“ handeln. Die Beziehungen zwischen China und den USA befänden sich derzeit an einem „wichtigen Punkt, und es sei der gemeinsame Wunsch beider Völker und der gesamten internationalen Gemeinschaft, eine solide und stabile Entwicklung der chinesisch-amerikanischen Beziehungen“ zu sehen, betonte Xi gegenüber Biden.

Entsprechend begrüßt Peking laut Radio China International die Rückkehr der USA in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und hofft, daß Washington im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie nun anders als die Trump-Regierung eine „ernsthafte, transparente und verantwortungsvolle“ Haltung einnehmen werde, die nicht immer nur Peking den Schwarzen Peter zuschiebe.