© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

„Wie wir lernen, mit dem Virus zu leben und zu arbeiten“
Wirtschaftspublizistik: Clemens Fuest analysiert die gravierenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie / Zukunftsprogramm eines liberalen Ökonomen
Dirk Meyer

Ein spannend konzipiertes Buch bietet Clemens Fuest mit „Wie wir unsere Wirtschaft retten – Der Weg aus der Corona-Krise“, das sich durch die unaufgeregte Analyse von manch anderen Schnellschüssen wohltuend unterscheidet. Der Autor, seit 2016 als Nachfolger von Hans-Werner Sinn Präsident des Ifo-Instituts, ist ein Finanzwissenschaftler mit vielfältigen Kontakten zu Wissenschaft, Politik, Beratung und Öffentlichkeit. Aus dieser Zusammenarbeit entstand ein thematisch umfassendes Werk zur Corona-Krise, das allerdings bereits vor dem zweiten Lockdown abgeschlossen wurde.

Den in diese Zeit passenden Ausspruch, „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, muß der Münchner VWL-Professor aber nicht bemühen, denn die Vorhersage im Corona-Nebel ist nicht sein Anliegen. Vielmehr weiß er als Wissenschaftler, daß zunächst das Erkennen von richtigen Frage- und Problemstellungen wichtig ist, um handlungsleitende Antworten zu finden. Dabei werden von ihm weniger konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, sondern vielmehr Strukturen aufgezeigt. Diese eröffnen Alternativen, die Fuest kritisch, aber offen diskutiert.

Fuest geht sehr systematisch vor, indem er sich von der Kurzfrist- zur Langfristperspektive vorarbeitet. Dabei führt der anfängliche Blickwinkel von der Prozeßpolitik, die wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Behebung der ökonomischen Folgen der Corona-Krise aufzeigt, im Laufe des Buches zunehmend hin zu ordnungspolitischen Strukturen, die die Aufstellung angemessener Rahmenregeln des Wirtschaftens betreffen.

Wie im Vorwort beschrieben, geht es dem 52jährigen insbesondere um den Wandel von Verhaltensweisen und Institutionen, also um langfristig wirkende Anpassungen, die durch die Pandemie hervorgerufen werden. So lautet eine Überschrift „Wie wir lernen, mit dem Virus zu leben und zu arbeiten“ – eine These, mit der der Bonner Virologe Hendrik Streeck kürzlich mediale Diskussionen auslöste.

Letztlich geht es Fuest darum, wie Stabilität und wirtschaftlicher Wohlstand langfristig wieder gesichert werden können. Anstößig mag manchem der Buchtitel vorkommen, geht es doch um die Menschen und die Gesellschaft als Ganzes. Allerdings tut man Fuest damit unrecht, denn als eher ordoliberaler Ökonom ist ihm das gesellschaftliche Wohl bei Freiheit der Bürger, Wettbewerb und staatlicher Rechtssetzung ein selbstverständliches Anliegen.

Seine Ausführungen beginnen mit einer Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Folgen, auch im Vergleich zur Finanzmarktkrise (2008/09) und Weltwirtschaftskrise (1929/32). Die getroffenen staatlichen Hilfen werden überwiegend positiv bewertet. „Mit dem Virus leben“ heiße, gesundheitliche und wirtschaftliche Belange zugleich zu berücksichtigen – es gebe kein Entweder-Oder.

Auch spricht er sich für regionale und sektorale Maßnahmen aus, denn Vielfalt ermöglicht ein Lernen.

In mittelfristiger Perspektive werden Gefahren und Lösungen zu Themen wie Schulden und Inflation, das Wettbewerbsverhalten der Internetkonzerne, eine effektive und effiziente Klimapolitik, die Ungleichheit von Bildungschancen, die Überforderung des Sozialstaates, neue Globalisierungstrends und die Zukunft einer kriselnden EU und Währungsunion diskutiert. Im Schlußkapitel zeigt Fuest das Zukunftsprogramm eines liberalen Ökonomen auf.

Das Buch gefällt durch seine verständliche und zugleich fachliche Analyse, ohne daß offensichtliche politische Werturteile mitschwingen. Den glatten Lesefluß stören weder Fußnotenverweise, noch wird auf ein Literaturverzeichnis verzichtet. Wohltuend wirkt in diesen Zeiten die optimistische Sichtweise: Es ist lesenswert – nicht nur für den ökonomisch Interessierten.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Clemens Fuest: Wie wir unsere Wirtschaft retten – Der Weg aus der Corona-Krise. Aufbau-Verlag, Berlin 2020, broschiert, 277 Seiten, 18 Euro