© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Unter schwerem Beschuß
Die US-Rechte vor unruhigen Zeiten: Was tut sich im konservativen Lager in der Post-Trump-Ära?
Björn Harms

Die politischen Nachwehen der „Kapitolstürmung“ vom 6. Januar sind in den USA allgegenwärtig. Zwar ist mittlerweile auch das zweite Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump abgeschmettert worden. Doch noch immer steht die politische Rechte unter schwerem Beschuß.

Nicht nur sollen die Randalierer des 6. Januar hart bestraft werden – mittlerweile wurden über 200 Strafverfahren eingeleitet. Auch für die restlichen im Land verstreuten Anhänger Donald Trumps gilt das Motto: Mitgehangen, mitgefangen. Der Investigativjournalist Glenn Greenwald beschreibt auf seinem Blog die Lage wie folgt: „Wir erleben eine Orgie der Zensur der Silicon-Valley-Monopole, ein sichtbar militarisiertes Washington, D.C. (...), Versprechungen des neuen Präsidenten für ein neues Anti-Terror-Gesetz sowie zahlreiche Anschuldigungen von ‘Aufruhr’, ‘Verrat’, und ‘Terrorismus’ gegen Mitglieder des Kongresses und einzelne Bürger“ – angetrieben durch eine radikale Ausweitung der Bedeutung von „Aufstachelung zur Gewalt“.

Wie soll es in dieser hitzigen Atmosphäre für die Rechte weitergehen? „In den nächsten vier Jahren wird die Rechte aus ihren Fehlern lernen müssen, disziplinierter und seriöser werden“, meint der Mitherausgeber des Online-Magazins American Greatness, Pedro Gonzalez, im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Die Bedingungen würden für Rechte immer schwieriger werden, „da das Establishment sie so ansieht, wie es einst die irakischen und afghanischen Aufständischen nach dem 11. September ansah“.

Der Krieg gegen den Terror sei „erweitert, rekontextualisiert und pathologisiert“ worden, schreibt auch der US-amerikanische Dramatiker und Schriftsteller CJ Hopkins in seinem neuesten Essay. „Das global-hegemoniale System, das heißt der globale Kapitalismus“, habe keine äußeren Feinde mehr. Seine einzigen Feinde befänden sich innerhalb des Systems und seien daher per Definition „Aufständische“, also „Extremisten“, „inländische Terroristen“ oder einfach „Realitätsverweigerer“.

Und diese „Realitätsverweigerer“ sind in großer Zahl vorhanden. Laut einer Mitte Januar erfolgten Umfrage von CNN glauben 75 Prozent der republikanischen Wähler, daß Joe Biden nicht der rechtmäßige Präsident der USA ist. Eine weitere vor drei Wochen getätigte Umfrage des Pew Research Centers besagt, daß etwa zwei Drittel der republikanischen Wähler der Meinung sind, Trump habe „wahrscheinlich“ oder „definitiv“ die Wahl gewonnen. Die amerikanische Demokratie hat also ein Glaubwürdigkeitsproblem. Unabhängig davon, ob bei der Wahl tatsächlich betrogen worden ist. Der US-Historiker Ted Widmer vergleicht die Situation mit der Spaltung der Gesellschaft nach der Wiederwahl Abraham Lincolns. „Genau wie 1861 hat man das Gefühl, daß das Land auseinanderbricht“, befand er kürzlich in der New York Times. Die Spaltung vollziehe sich „fast Familie für Familie, in jedem Staat des Landes gibt es Menschen, die sich von der einen oder anderen Version Amerikas entfremdet haben“, so Widmer. Wie damals gebe es nun „zwei konkurrierende Ideen darüber, wofür Amerika eigentlich stehen sollte“.

Alter Streit zwischen Paläos und Neocons wieder spürbar

Sind es tatsächlich nur zwei? Auch der Streit darüber, was Konservatismus überhaupt noch bedeuten soll, ist im vollen Gange – und spielt sich grob ab zwischen dem konservativen Establishment einerseits – häufig auch als „Conservative Inc.“ bezeichnet – und einer aufstrebenden Rechten andererseits – auch als „Dissident Right“ bekannt. Oberflächlich betrachtet wurzelt der Kampf um die Deutungshoheit im alten Streit zweier verfeindeter Denkschulen – der Neokonservativen und der Paläokonservativen. Erstere entwickelte sich Ende der 1960er Jahre aus dem Liberalismus heraus und strebt nach aktiver, gesellschaftlicher Veränderung. Das Prinzip der marktwirtschaftlich orientierten progressiven Demokratie werde schlußendlich weltweit siegen, lautet die Überzeugung – entlang der Parameter Nation, Staat und Familie. 

Die Paläokonservativen hingegen lehnen die interventionistische Außenpolitik der Neocons strikt ab. Sie befürworten eine strenge Einwanderungspolitik. Zudem gelten sie als Anhänger einer protektionistischen Wirtschaftsausrichtung, die auch US-Präsident Donald Trump präferierte. Als prominenteste Vertreter gelten der US-Historiker Paul Gottfried, der ehemalige Präsidentschaftskandidat Pat Buchanan, der Literat Mel Bradford oder der Kolumnist Samuel T. Francis. Vor allem durch Schmutzkampagnen der Neocons wurden sie nach und nach aus der Öffentlichkeit und der Republikanischen Partei gedrängt. Gottfried spricht in diesem Zusammenhang von „niemals endenden Säuberungen“ auf der Rechten, die sich seit den 1980er Jahren hinziehen würden. Jede dissidente Stimme rechts von „Conservative Inc.“ werde durch Vorwürfe wie „antisemitisch“ oder „rassistisch“ aus dem Spiel gedrängt, so daß sich der heutige Konservatismus wie eine zweite Linke verhalte. 

Mittlerweile versucht eine junge Rechte den alten Vorbildern nachzueifern und das ideengeschichtliche Vakuum zu füllen. Der prominenteste Vertreter ist wohl Nicholas J. Fuentes, ein 22jähriger streng gläubiger Katholik aus Chicago, der mit seiner „America First“-Abendshow, dem alten Kampfruf der Paläokonservativen neues Leben eingehaucht hat. Am Ende des Tages geht es Fuentes um eine aufrichtige Überprüfung von „Conservative Inc.“: „Was konservieren diese Leute überhaupt?“ fragt er in seiner Show. „Warum beanspruchen sie die Führung auf konservativer Seite, wenn sie Dinge wie Freihandel, weltweite Interventionskriege, die gleichgeschlechtliche Ehe oder milliardenschwere Entwicklungshilfe für Israel befürworten? Das ist nicht patriotisch, christlich oder sonst irgendwas.“ In der Öffentlichkeit ist er längst als „White Nationalist“ gebrandmarkt, auch wenn er sich von der untergegangenen „Alt-Right“-Bewegung abgrenzt. Seine bisweilen rhetorische Radikalität, gepaart mit Witzen an der Grenze des guten Geschmacks, hilft da nicht unbedingt weiter.

Viele der jungen „America First“- Anhänger, die heute zwischen 18 und 30 Jahre alt sind, politisierten sich in den Jahren unmittelbar vor der Präsidentschaftswahl 2016. Die meisten orientierten sich zunächst an libertären Positionen, die ihnen prominente anti-linke Kommentatoren wie Ben Shapiro vorgaben. Der freie Markt regle das schon. Die Herkunft sei unwichtig, Hauptsache Amerika bleibe der „Marktplatz der freien Ideen“, wie Shapiro es ausdrückt. Parallel dazu gingen auf Youtube Videos vom Stile des kanadischen Psychologen Jordan Peterson viral, in denen dieser den linken Gerechtigkeitskämpfern („SJW’s“) an den Universitäten den Kampf ansagte.

Doch genau die offenkundig gewordene Hinwendung der Linken zur Identitätspolitik, verbunden mit den drastischen demographischen Veränderungen im Land, einer zunehmend verarmenden Mittelschicht sowie den verheerenden Auswirkungen des „woken“ Kapitalismus, der seit Jahren nicht-linke Stimmen bekämpft und zensiert, bildeten den Grundstock für eine identitätsbewußte junge Rechte, die libertäre Positionen eher verlacht und den Glauben an einen „freien Markt“ hinter sich gelassen hat.

Die größte existentielle Bedrohung für populistische Bewegungen sieht Fuentes nicht etwa (nur) in der Linken, sondern vielmehr in der Macht von Big Tech und Globalisten. Youtube löschte seinen Account wegen Haßrede, auch von der Videoplattform DLive, auf der er binnen kurzer Zeit zum erfolgreichsten Streamer aufstieg, wurde er entfernt. Derzeit sendet er auf seiner eigenen Website, versucht eigene Strukturen aufzubauen, finanziert durch die Spenden seiner Zuseherschaft. Der Verdienst liest sich für einen 22jährigen nicht schlecht: Allein von April bis Oktober beliefen sich seine Einnahmen bei DLive auf stolze 61.654 Dollar. Dazu kamen im November und Dezember weitere 43.822 Dollar. Zugleich sorgt eine mysteriöse Spende aus Frankreich derzeit dafür, daß aufgeregte Journalisten – von der New York Times bis hin zum Wall Street Journal – versuchen seine Finanzströme zu durchleuchten. 

Wie der Kryptowährungs-Blog „Chainalysis“ Mitte Januar berichtete, hatte am 8. Dezember ein französischer Spender 13,5 Bitcoins an Fuentes überwiesen. Der damalige Wert: rund 205.000 Euro. Mittlerweile liegt der Kurs bei knapp 505.000 Euro. Insgesamt habe der Account 28,15 Einheiten der Kryptowährung an Personen aus dem rechten Spektrum verteilt, mit einem damaligen Marktwert von knapp 430.000 Euro (heute über eine Million Euro). Es handelte sich offenbar um einen französischen Informatiker, der unter gesundheitlichen Problemen litt. Und der am Tag der Spende mit nur 35 Jahren Selbstmord beging.

Klar aber ist: Eine finanzielle Hilfe durch das Establishment kann die junge „America First“-Bewegung jedenfalls nicht erwarten. Der Großteil der konservativen US-Stiftungen wie etwa die Heritage Foundation sind noch immer mehrheitlich in der Hand der Neokonservativen. Bleibt also nur die inhaltliche Überzeugung potentieller Anhänger. „Die Rechte muß den Dogmatismus des freien Marktes hinter sich lassen“, bekräftigt Pedro Gonzalez gegenüber der JF. „Sie muß bereit sein, das Schwert des Staates zu benutzen, um eine bessere Zukunft aufzubauen. Und sie muß eine Vision der Zukunft anbieten, für die es sich zu kämpfen lohnt.“ Wenn die Rechte jemals wieder an die Macht komme, erklärt Gonzalez, sollte sie sich thematisch wie folgt orientieren: „Gesundheitsversorgung, eine populistische Wirtschaft sowie Recht und Ordnung – in unseren Gemeinden und an der Grenze.“

Eine statistische Erhebung des libertären Cato-Instituts hatte schon 2017 einen Wandel im konservativen Spektrum aufgezeigt. Die Ökonomen identifizierten durch Umfragen fünf Gruppen von Trump-Anhängern, von denen drei – „Amerikanische Bewahrer“ (20 Prozent der Trump-Wähler), „Anti-Eliten“ (19 Prozent) und „die Unentschlossenen“ (fünf Prozent) – sich in Wirtschaftsfragen links positionierten. Tendenz steigend. „Die überzeugten Konservativen“ (31 Prozent) bevorzugten den „schlanken Staat“, betonten aber vor allem die Begrenzung der Einwanderung als zentrales Thema. „Anhänger des freien Marktes“ bildeten 25 Prozent der Wähler.

„Das amerikanische Volk gegen die Oligarchie“

Cliff Sims, von 2018 bis 2019 politischer Berater im Weißen Haus unter Donald Trump, bringt die Verschiebung der Wählerschichten auf eine einfache Formel: „Die Republikanische Partei ist jetzt die Arbeiterpartei. Die Demokraten sind die Partei von Wall Street, Big Tech, radikalen Linken und Umweltaktivisten.“ Wie die Führungsspitze der Republikaner in der Post-Trump-Ära damit umgeht, bleibt ungewiß. „Ich würde die Möglichkeit nicht ausschließen, daß die Neocons die Republikanische Partei wieder übernehmen, aber dafür müßten sie den populistischen Flügel neutralisieren“, erklärt Paul Gottfried im Gespräch mit der JF. Und warnt vor einem Trick: „Die Kandidatur eines neokonservativen Verbündeten, etwa Marco Rubio, der jetzt behauptet, sich um die amerikanische Arbeiterschaft zu kümmern, könnte der Weg für die Neocons sein, die Macht zurückzuerobern, ohne die populistische Basis von Trump zu vertreiben.“

Wenn die Republikanische Partei keine „America First“-Politik betreiben wolle, dann müsse sie eben zerstört werden, meint hingegen Nick Fuentes. Er passe nicht in „das fälschliche Republikaner-Demokraten-Paradigma. Wir repräsentieren ein neues Paradigma: das amerikanische Volk gegen die Oligarchie, die beide großen Parteien betreibt.“ Paul Gottfried bleibt skeptisch, ob der Erfolgsaussichten des 22jährigen: „Fuentes wird ein Geächteter bleiben, über den bereits ein Scherbengericht verhängt wurde“, sagt er. „Daran wird sich auch nichts ändern.“ Das Selbstbewußtsein der jungen Rechten scheint noch ungetrübt. Der häufigste Satz in Fuentes’ Show lautet nicht umsonst: „‘America First’ ist unvermeidlich!“