© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Autoritär auf dem dritten Weg
Sozialstaatsreformen, Nationalismus und Distanz zu den Großmächten: Vor 75 Jahren erlangte General Juan Perón in Argentinien die Macht
Annett Wolf

Am 24. Februar 1946 fanden in Argentinien Präsidentschaftswahlen statt, aus denen der Kandidat der Partido Laborista (Arbeiterpartei), General de Brigada Juan Domingo Perón Sosa, als Sieger hervorging. Der Offizier erhielt knapp 53 Prozent der Stimmen und trat das Amt dann am 4. Juni 1946 an, womit er zugleich auch zum Oberkommandierenden der Streitkräfte avancierte. 

Damit erklomm der Sohn eines Viehzüchters den Gipfel seiner politischen und militärischen Karriere, welche durch folgende Marksteine gekennzeichnet war: 1911 bis 1913 Besuch der Offiziersschule des argentinischen Heeres und 1926 bis 1929 der Militärhochschule in Buenos Aires, 1930 bis 1935 nacheinander Mitglied des Generalstabes, Professor für Militärgeschichte und Privatsekretär des Kriegsministers, 1936 bis 1938 Militärattaché in Chile, 1939 bis 1941 Militärbeobachter in Italien, später Kommandeur einer Einheit der Gebirgstruppen und schließlich – nach dem Putsch der Grupo de Oficiales Unidos (GOU) gegen die Regierung von Ramón Castillo Barrionuevo – Sekretär für Arbeit und Wohlfahrt (ab Dezember 1943) sowie dann zugleich noch Kriegsminister (ab Februar 1944) und Vizepräsident unter dem Juntachef Edelmiro Julián Farrell (ab 8. Juli 1944).

In den letztgenannten drei Positionen initiierte Perón einerseits zahlreiche Reformen, was ihm die Unterstützung großer Teile der Industriearbeiterschaft und der einfachen Bevölkerung Argentiniens eintrug. Andererseits riefen seine wachsenden persönlichen Machtgelüste aber auch Widerstand oder Proteste hervor, welche den Offizier im September 1945 zur Verhängung des Ausnahmezustandes bewogen. Angesichts dessen drängte die Militärführung Perón im Oktober 1945 aus allen Ämtern und ließ ihn auf der Gefängnisinsel Martín García internieren. Das wiederum trieb die Unterschichten auf die Straße, welche die Freilassung ihres „Märtyrers“ durch eine Großdemonstration vor dem Präsidentenpalast erzwangen. Damit war für Perón der Weg zur Präsidentschaft geebnet, obwohl jetzt auch die USA versuchten, die öffentliche Meinung gegen ihn aufzubringen, indem sie enthüllten, daß er während des Zweiten Weltkriegs mit den Achsenmächten sympathisiert hatte. Die Abstempelung Peróns zum NS-Kollaborateur betrachteten viele Argentinier allerdings als Einmischung in die inneren Angelegenheiten ihres Landes, weswegen die US-Intrige letztlich sogar das Gegenteil bewirkte.

Ideologische Fundierung ebenso diffus wie eklektisch

Als Präsident verhalf Perón der von ihm begründeten und bald auch nach ihm benannten politischen Bewegung zum Sieg. Das zentrale Ziel des Perónismus bestand dabei darin, durch weitreichende soziale Reformen zugunsten der ärmeren Teile der Bevölkerung, aber auch der Mittelschicht, einen breiten Rückhalt im Volk zu finden. Und tatsächlich sorgten steigende Löhne, Wohlfahrtsprogramme, Preisbindungen bei Gütern des Grundbedarfes, neue Sozialversicherungssysteme und ähnliches dafür, daß Argentinien den fünften Platz in der Rangliste der Länder mit dem höchsten Lebensstandard erreichte und zunächst weitgehend Zufriedenheit herrschte. Gleichzeitig initiierte Perón auch die Verstaatlichung einiger Privatunternehmen, vermied es jedoch, das Großkapital und die gesellschaftlichen Eliten über Gebühr zu provozieren. Deshalb blieben echte Umwälzungen trotz aller revolutionären Rhetorik aus.

Im Prinzip strebte Perón danach, einen sogenannten „Dritten“ Weg zwischen Kommunismus und Kapitalismus zu beschreiten, wobei dessen ideologische Fundierung aber ebenso diffus wie eklektisch blieb. Und am Ende obsiegte dann stets der Pragmatismus: Wenn etwas dazu taugte, das Renommee Peróns zu steigern, dann wurde es auch irgendwie in sein „Programm“ integriert.

Deutlich kantiger präsentierte sich hingegen die Außenpolitik des Generals. Diese war zum einen dezidiert antiamerikanisch, antiimperialistisch und antisowjetisch ausgerichtet und zum anderen durch nationalistischen Hochmut und Großmachtbestrebungen gekennzeichnet. So träumte Perón bereits 1943 davon, Argentinien zur Herrschaft über den gesamten südamerikanischen Kontinent zu verhelfen.

Bei der Umsetzung der sozialpolitischen Programmatik erhielt der Präsident Unterstützung von seiner zweiten Ehefrau, der überaus populären Schauspielerin María Eva Duarte de Perón alias „Evita“. Nach deren frühem Tod am 26. Juli 1952 wurde Peróns Regierungsstil deutlich diktatorischer und aggressiver, während sich um ihn ein manchmal schon regelrecht grotesker Personenkult entfaltete. Ungeachtet dessen wuchs die Zahl der Gegner Peróns in den folgenden Jahren aber kontinuierlich an, weil die kostspieligen Sozialreformen die argentinische Währung ruiniert hatten und die Inflationsrate immer neue dramatische Höhen erreichte. 

Darüber hinaus kam es zu Spannungen zwischen dem Präsidenten auf der einen und dem Militär, den Großgrundbesitzern und der katholischen Kirche auf der anderen Seite. Der Konflikt mit dem Klerus resultierte dabei vor allem aus der Legalisierung von Ehescheidung und Prostitution sowie der Abschaffung des schulischen Religionsunterrichtes. Deswegen exkommunizierte Papst Pius XII. den argentinischen Präsidenten im Juni 1955 sogar.

Perón – nun Teniente General – wurde im September 1955 durch putschende Militärs aus dem Amt getrieben und verbrachte danach bis 1973 im Exil, die meiste Zeit davon in Spanien. Nach seiner Rückkehr errang er nochmals einen Wahlsieg und fungierte ab Oktober 1973 erneut als Präsident. Allerdings verstarb Perón dann bereits am 1. Juli 1974. Damit verlor der Perónismus seine charismatische Leitfigur und personelle Bindeklammer, was dazu führte, daß sich die Bewegung aufspaltete und veränderte, während Argentinien eine weitere Phase der Militärherrschaft durchlebte, welche bis 1983 währte.

Weder als „links“ noch als „rechts“ zu charakterisieren

Nach ihrer Wiederzulassung im Rahmen der Redemokratisierung erlitt die perónistische Partei Partido Justicialista (PJ) zunächst ein Wahldebakel der schlimmsten Art. Die Stunde der Neo-Perónisten schlug erst 1989 mit dem Amtsantritt von Carlos Saúl Menem Akil. Und auch in der Zeit danach gelangten mehrere Politiker an die Spitze Argentiniens, die in der Tradition des Perónismus standen, der faktisch langlebigsten politischen Bewegung Lateinamerikas überhaupt. Dabei zeigte sich immer wieder deren extreme Anpassungsfähigkeit, welche es unmöglich macht, sie als „links“ oder „rechts“ zu charakterisieren, wenngleich neuerdings eine gewisse Nähe zur Sozialdemokratie zu beobachten ist. Deshalb kann auch niemand sagen, wohin der Neo-Perónismus Argentinien noch zu führen vermag. Auf jeden Fall werden die Epigonen Peróns aber wohl weiterhin nach der Macht streben.