© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/21 / 19. Februar 2021

Die Wachstumsideologie der Grünwäscher
Alles soll so weitergehen wie bisher, nur mit Sonne, Wind und E-Autos / Eine Journalistin rechnet ab
Christoph Keller

Kathrin Hartmann ist mit „konsumkritischen Themen“ auf dem Markt der Meinungen präsent. Anders als zu vermuten, segelt die ehemalige Frankfurter Rundschau- und Neon-Redakteurin damit aber nicht auf der Welle eines grünen Modethemas. Vielmehr beackert die 48jährige ein brachliegendes Feld: Grünen-Kritik von links. Bereits ihr erstes Buch „Ende der Märchenstunde“ (2009) nahm die vermeintlich paradoxe Allianz zwischen Industrie und „Lifestyle-Ökos“ aufs Korn.

Seitdem verschärfte sie ihre Grünen-Kritik in dem Maß, wie die Partei an bundespolitischem Gewicht gewann. Konsequent ähneln daher ihre jüngsten Polemiken, „Die grüne Lüge. Weltrettung als profitables Geschäftsmodell“ (2018) und „Grüner wird’s nicht: Warum wir mit der ökologischen Krise völlig falsch umgehen“ (Blessing-Verlag 2020) Generalabrechnungen mit „politischen Märchenerzählern“, die den Bürgern vorgaukeln, „Green Economy“ garantiere „nachhaltiges Wachstum“.

Linke Wutbürgerin gegen grünverkleidete Neoliberale

Auch in einem Essay für das Greenpeace Magazin (1/21), der dem „Skandal“ gilt, daß der Entwurf zum Lieferkettengesetz (JF 37/20) viermal von der Tagesordnung des Merkel-Kabinetts „gerutscht“ sei, pflegt Hartmann wieder ihr Feindbild: Ein Gesetz zur Kontrolle globaler Lieferketten lindere zwar ein bißchen den Schmerz der Ohnmacht gegenüber der Umweltzerstörung und trage dazu bei, daß Ware mit zertifiziertem sozialem und ökologischem Mehrwert Konsumenten ein gutes Gewissen verschaffe. Aber schon jetzt verstecken sich solche Produkte mit ihren 30 Milliarden Dollar Handelswert jährlich längst nicht mehr bei Nischenanbietern, sondern füllen die Supermarktregale.

Der Umwelt habe das wenig geholfen: „Noch nie wurden so viele Regenwälder auf Kosten indigener Völker abgeholzt wie heute, noch nie gelangte so viel Plastikmüll als Folge unseres Hyperkonsums ins Meer und noch immer haben sich die Arbeitsbedingungen bei den globalen Zulieferern – etwa in der Textilindustrie – nicht wesentlich verbessert“, klagt Hartmann. Grüne Politiker und ihre Wähler müßten diese Entwicklungen allein deshalb verdrängen, weil sie mit ihrem Konsumverhalten maßgeblich daran beteiligt seien.

In diesem Vorwurf sieht sich Hartmann durch den Oxfam-Bericht „Confronting Carbon Inequality in the European Union“ bestätigt. Demnach ist die gesamte CO2-Einsparleistung in der EU zwischen 1990 und 2015 von Bürgern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen erbracht worden, während die reichsten zehn Prozent der Europäer ihren CO2-Ausstoß sogar steigerten. Und in diesem „Besserverdienender“-Milieu ist die grüne Stammwählerschaft verankert, die sich als Ablaß für ihre „imperiale Lebensweise“ den Biomarkt-Einkauf oder das E-Mobil als Zweitwagen leiste.

Daß diese Besserwisser ressourcenschonend leben, sei durch Studien widerlegt: „Die Grünen-Klientel schneidet in diesem Punkt schlecht ab, zusammen mit den Zynikern von der FDP.“ Konsumverzicht finde in diesen Kreisen sowenig statt wie die grundsätzliche Infrage-Stellung kapitalistischen Wirtschaftens. Warum? Weil man die herrschende Ideologie „ungebremsten Wachstums“ verinnerlicht habe. Die Grünen versprechen darum, so Hartmann im Konkret-Magazin (8/19), alles könne so bleiben wie es ist, „das System sei in Ordnung, man müsse lediglich einige Auswüchse korrigieren“. Dann ließen sich Wachstum und Konsum endlos steigern – mit Wind-, Sonnen- und Wasserkraft. Die Bigotterie dieser „Grünwäscher“ zeigt sich für die rabiate Autogegnerin Hartmann in der Art, wie sie Hoffnungen auf die angeblich umweltschonende „grüne Technik der E-Mobilität“ wecken.

Seit der „neoliberalen rot-grünen Ära“ Schröder/Fischer habe die Partei dem SUV-Trend stets nur ein „grünes Deckmäntelchen umgehängt“. So daß es kaum verwundere, wenn heute „E-Autolobbyisten“ für eine mehr Kupfer, Aluminium und Konfliktmineralien als Benziner und Diesel verschlingende Technik trommeln, die für Umweltzerstörung, Landraub und Menschenrechtsverletzungen stehe. An der Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Süden ändere das nichts, so wenig wie ein Lieferkettengesetz oder der Kauf von zehn Öko-Eiern für 7,50 Euro. Und daß die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Popp ein großes Herz für den kalifornischen E-Autokonzern Tesla hat, ist daher folgerichtig.

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