© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/21 / 26. Februar 2021

„Nicht gut fürs Klima“
Dilemma I: Eine neue ökoradikale Kleinpartei könnte die Grünen Stimmen kosten / Wahlkampf eingestellt
Hinrich Rohbohm

Sie treten an, weil ihnen der Klimaschutz bei den Grünen nicht weit genug geht. Angefangen hatte es im März vergangenen Jahres, als sich eine Partei mit dem Namen „Klimaliste“ erstmals bei den Kommunalwahlen in Bayern dem Wähler stellte. Was zunächst als harmlose Wählerinitiative frustrierter „Fridays for Future“-Aktivisten in Städten und Gemeinden begann, hat sich für die Öko-Partei inzwischen zu einem handfesten Ärgernis entwickelt. Schon drei Monate später hatte sich in Rheinland-Pfalz erstmals eine Klimaliste auf Landesebene gebildet. Und im September vorigen Jahres wurde in Baden-Württemberg die erste Klimaliste mit Parteistatus ins Leben gerufen.

Ausgerechnet in Baden-Württemberg, dürften sich grüne Parteipolitiker gesagt haben. In jenem Bundesland, in dem die Öko-Partei ihre besten Wahlergebnisse erzielt und mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten stellt. Letzterer ist jedoch nicht zuletzt auch Antrieb für die Klimalisten-Anhänger. Denn der 72jährige sorgt mit seiner Strategie, sich den Wählern gegenüber als wertkonservativ agierender Landesvater zu inszenieren, besonders bei den radikaleren Öko-Aktivisten für Unmut.

Und so ist es nicht verwunderlich, daß sich potentielle Wähler in einer Grünen-Hochburg wie Freiburg im Breisgau vom Gedanken einer Klimaliste durchaus angetan zeigen, als wir uns dort in der Innenstadt umhören. Hier war die neue Kraft für Baden-Württemberg gegründet worden. Und trifft auf offene Ohren.

„Ich kann mir schon vorstellen, die auch zu wählen“, sagen uns hier vor allem immer wieder junge Leute. „Das wird auch Zeit, daß sich so etwas bildet. Die sollen den Grünen mal ordentlich Dampf machen“, meint auch eine Frau um die 40. „Ist jedenfalls witzig gemacht“, lobt eine Studentin die neue politische Kraft, als wir sie auf die Plakate der Klimaliste ansprechen, die in Freiburg bereits an den Laternenmasten hängen.

„Wen würde sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Klimawandel wäre?“, steht darauf. In der Mitte des Plakats ist der blaue Planet abgebildet. Das kommt bei Grünen-Wählern an. Ihre Stimme könne sie der neuen Partei zwar nicht geben, weil sich ihr Hauptwohnsitz nicht in Baden-Württemberg befinde, sagt uns die Studentin. „Aber ich habe schon von vielen Kommilitonen gehört, daß sie die wählen wollen.“

„Nehmen den Grünen wichtige Stimmen weg“

Es ist genau das, was grüne Parteifunktionäre fürchten. Gerade junge Wähler könnten ihnen durch die Existenz der Klimaliste von der Fahne gehen. Und: Vor allem bei der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Partei, hegt man Sympathien für die Klimaliste.

Ein überraschender Erfolg der neuen Partei könnte wiederum dafür sorgen, daß wichtige Prozente im Rennen mit der CDU um den Status als stärkste Partei in Baden-Württemberg fehlen könnten. „Totaler Schwachsinn, was die machen“, echauffiert sich deshalb auch ein Mann mit längerem grauen Haar und Stoppelbart, so um die 60 Jahre alt und selbst langjähriger Wähler der Grünen. „Die bekommen dann vielleicht ein paar Prozentpunkte, kommen aber nicht rein und nehmen den Grünen am Ende wichtige Stimmen für parlamentarische Mehrheiten weg.“

Eine Einschätzung, die man in der Stuttgarter Parteizentrale der Grünen teilen dürfte. Der plötzliche Rücktritt von vier der sechs Vorstandsmitglieder der baden-württembergischen Klimaliste sowie Ankündigungen, den Wahlkampf nun auf einmal einstellen zu wollen, deuten darauf hin, daß es zwischenzeitlich strategische Gespräche zwischen Grünen und der neuen Partei gegeben haben könnte.

Mit der Politik-Studentin Jessica Stolzenberger hat sogar eine Mitgründerin die Klimaliste verlassen. Ihre Begründung ist vielsagend: „Was gut für die Klimaliste ist, ist nicht gut für das Klima.“ Die 21jährige sagt nun auf einmal: „Wir haben 1,5 Grad wählbar gemacht.“ Das sei durch den Druck von Klimaliste, Klimabewegung und Grüner Jugend erfolgt.

Weniger nervös ist man dagegen in Rheinland-Pfalz. Auch hier sind im März Landtagswahlen. Und auch hier ist die Klimaliste mit von der Partie. Doch die gesellschaftliche Verankerung des Grünen-Milieus ist bei weitem nicht so ausgeprägt wie im benachbarten Bundesland. „Kenne ich nicht“, lautet die häufige Antwort, die wir in der Landeshauptstadt Mainz erhalten. „Nie von denen gehört“, die andere. Gerade einmal hundert Mitglieder kann der Landesverband hier aktuell aufweisen. Umfragen sehen die Partei weder in Rheinland-Pfalz noch in Baden-Württemberg im Landesparlament.

Bundesweit will die Partei sich dennoch zukünftig breiter aufstellen. Schließlich ist das Klima-Thema eine enorm starke Marke, die schnell für Dynamik sorgen kann, sollten sich die Grünen auf ihrem Kernpolitikfeld Patzer erlauben. Enttäuschte Parteianhänger könnten sich dann schnell bei der Klimaliste wiederfinden. Austritten und Wahlkampfstopps zum Trotz.